Komplexität und Transformation allerorten - hat Führung nun ausgedient?

System Management

Von Walter Braun

Von Cloudcomputing über Smart Factory bis Big Data Management nutzen Unternehmer und Manager mal mehr mal weniger die Digitalisierung ihrer Betriebe, um wettbewerbsrobuster und zukunftsfähiger zu werden. Neue Geschäftsmodelle lösen alte ab. Teams kollaborieren in flachen Hierarchien. Jobs kommen und gehen. Strategische Innovationen disruptieren traditionelle Arbeitsformen: Schumpeters kreative Zerschlagungsrhythmen nehmen rasant Fahrt auf.

 

Hierarchiefreiheit: Gebot der Stunde!

 

Mehr denn je sind für die komplexen und tiefgreifenden Veränderungen Mitarbeiter erforderlich, die hochkompetent, flexibel, eigenmotiviert und proaktiv den  technologiegetriebenen und sozialpsychologisch anspruchsvollen Wandel vollziehen. Sie arbeiten in teilautonomen Teams und agilen Projektstrukturen. Eine direkte Führung solcher Mitarbeiter ist im Grunde überflüssig, da sie  selbstverantwortlich regeln, was sie warum und wie zum Erreichen der gesetzten Ziele tun. Einerseits!

 

Was hierarchiefreies Arbeiten bremst

 

Andererseits aber kann man derart eigenmotivierte Mitarbeiter zwar berechtigt fordern, aber man wird sie nicht voraussetzungsfrei vorfinden: Vermutlich werden nur einige wenige nach Selbstständigkeit drängen und diese dann auch ausfüllen können. Es wäre auch illusorisch, zu erwarten, dass man Menschen nur transparente Informationen, Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Aufgaben vermitteln müsse, um ihre Eigenständigkeit zu mobilisieren. Es mögen sicherlich notwendige Bedingungen dafür sein, aber eben noch keine hinreichenden.

Ein weiterer Bremsklotz für eine vorgesetztenfreie Arbeitsstruktur liegt in den vielfältigen, unbestimmten, komplexen und mehrdeutigen Anforderungen an die Belegschaft. Auch flache Hierarchien und die Delegation von Befugnissen und Verantwortung lähmen mehr als erwartet: sie können verunsichern und zur Selbstausbeutung animieren. Erst wenn Mitarbeiter eingebettet sind in eine kollaborativ angelegte Arbeitsstruktur und in eine experimentierfreudige und Irrtum zulassende Arbeitskultur, kann der einzelne von andern und flachen Hierarchien profitieren und seine Unsicherheit reduzieren. Interaktion demokratisiert und stützt die Transformation.

 

Vom Klassikerchef  zur Führungskraft

 

Zwar verlangen Veränderungen selbstführungsstarke Mitarbeiter, aber dafür müssen auch die strukturellen und individuellen Voraussetzungen vorliegen bzw. geschaffen werden. Damit das gelingt, sind Unternehmen auf  Initiatoren und Verantwortliche angewiesen: auf Führungskräfte mit einem anderen Rollenverständnis als es aus Command- und Controlkulturen resultiert. Auf Menschen, denen eine wertschätzende Mentalität genuin inne wohnt, und die

  • Impulse für ambitionierte Ziele und mögliche Optionen setzen,
  • helfen, sich in unstrukturierten, komplexen Situationen zurecht zu finden,
  • Ressourcen und Entwicklungswege zur Verfügung stellen,
  • Kollaborationen organisieren und koordinieren,
  • gemeinsam mit den Mitarbeitern experimentieren,
  • Widerspruch aushalten und zum Querdenken motivieren,
  • proaktiv Selbstführung praktizieren und sie Mitarbeitern ermöglichen und
  • gleichzeitig die Grenzen des Machbaren ausreizen und Selbstausbeutung verhindern.

 

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, sollten sie über ein hohes Maß an Toleranz und übergreifendem Denken besitzen. Aus dem alten Verständnis, verantwortlich für Ergebnis und Mitarbeiter zu sein, müssen sie aus- und in ein Rollenverständnis des Ermöglichers und Impulsgebers einsteigen.

 

Führungskräfte induzieren Zukunftsdenken und Schlagkraft

 

Wenn Firmen die strategischen Chancen der Digitalisierung nutzen wollen, sind sie nicht nur auf ein veränderungsfreundliches Topmanagement angewiesen. Gerade für flache Hierarchien sind „Chefs“ in der Etappe notwenig, die die Identifikation der Belegschaft mit dem Change ermöglichen. Führungskräfte allerdings, die in den agilen und flexiblen Arbeitsstrukturen  keinen Mitarbeitern oder Abteilungen fest zugeordnet sind, sondern die mal direkt oder mal virtuell mit Mitarbeitern den gewollten Wandel realisieren. Ein differenziertes Kompetenzmodell für diese Art Führung wird schon alleine aus dem Grund der hohen Situationsspezifik scheitern. Im Grunde müssen sie in der Lage sein, Mitarbeitern Eigenentwicklung zu ermöglichen, ihnen zu vertrauen und selbst vernetzt, ganzheitlich zu denken sowie proaktiv die eigene Selbstführung fortzuentwickeln.

Digitalisierung, Cloudcomputing, Automatisierung und Standardisierung führen zwangsläufig dazu, dass nicht nur Routineaufgaben, sondern auch anspruchsvollere geistige Aufgaben von Maschinen erledigt werden. schon heute koordinieren Algorithmen komplizierte Fertigungs- und Kundenprozesse. Strategische, kreative und soziale Aufgaben sind auch weiterhin den menschlichen Domänen hinzuzurechnen. Um für derart gravierende, aber noch unbekannte Veränderungen Verständnis, Alternativen und Akzeptanz in der Belegschaft zu sorgen, braucht es Führungskräfte, die auf diese terra incocnita visionär einwirken und deren Konkretisierung partizipativ mit Mitarbeitern betreiben. Dazu müssen sie den Link zwischen den betrieblichen Gegebenheiten, den gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen konfigurieren und ihre gestaltende Macht im Team teilen.

 

Die wahrscheinliche Welt der Führungskraft als Explorer und Gestalter

 

Komplexe und unsichere Situationen schaffen eine Arbeitswelt voller Optionen, die aber nur im Team gefunden und ausgestaltet werden können. Führungskräften wird das erst dann gelingen, wenn sie die Top Down Perspektive durch eine systemische ersetzen und eine demokratisierte und wertschätzende  Arbeitskultur erzeugen. Dafür schaffen sie Settings, in denen Mitarbeiter von Beginn an in Entscheidungen eingebunden sind, Zugang zu  notwendigen Ressourcen haben und als Dialogpartner aktiv die Veränderung verantworten. Das setzt Vertrauen, Zutrauen und Kompetenz auf beiden Seiten voraus, was über kurz oder lang zu den eingangs erwähnten selbstführungsfähigen Mitarbeitern führt.

Nicht nur, aber gerade für eine Arbeitswelt der Disruption und Transformation resultieren aus diesen Überlegungen drei Führungsfunktionen, auf die Führungskräfte vorbereitet sein sollten:

+ Erkunden und Ermöglichen von Veränderungsformaten im Kontext künftiger Geschäftslogiken

+ Gewährleisten einer systemischen, dialogischen und sozialverträglichen Arbeitskultur

+ Herstellen von Perspektivvielfalt zur robusten Unterfütterung der Zukunftskonstruktion

Da die soziale Wirklichkeit dieser Funktionen subjektiv wahrgenommen wird, integriert die Führungskraft die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Beteiligten und lotst sie durch die blinden Flecken der Zukunftsdomänen des Unternehmens. Eine Arbeit, die wohl nie enden wird und eine, die flache Hierarchien, aber eben auch Führung rechtfertigt.

Kommentare

Danke für den anregenden Artikel! Führung wird in welchen Zeiten auch immer nur einen Sinn geben, wenn sie auf gleicher Augenhöhe stattfindet. Mitarbeiter sind es wert, ernst genommen zu werden.

Nun, in einer Welt der Unsicherhet gerade da sind "Chefs" notwendig, weil nur sie die Richtung vorgeben.

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