Welchem Denkfehler Führungstrainings zum Opfer fallen und wie Personalentwickler in korrigieren können

Walter Braun

Darüber ist man sich in kleinen und großen Unternehmen einig: Mitarbeiter sollen Verantwortung übernehmen und eigenständig arbeiten. Konsens besteht auch darüber, dass die betriebliche Personalentwicklung sie dazu befähigt und die Vorgesetzten sie zur Umsetzung dieser  Erwartung ermutigen.

Babylonien im Führungsbusiness

So weit zu den Gemeinsamkeiten. Wenn es aber darum geht, Mitarbeiter dafür zu qualifizieren und sie auf ihrem Weg zum Erfolg zu ermutigen, gehen die Strategien und Methoden weit auseinander. Von autoritär über direktiv bis zu kooperativ und kollaborativ reichen die Führungsstrategien und je nach Zeitgeist von transaktional bis transformational die Führungsmodelle. Auch die Protagonisten der Szene bieten kreative Trainingssets an, mit denen sie den von Transformation und Disruption geplagten Chefs eine sichere Zukunft versprechen. Je nach dem, was auf der betrieblichen Agenda oben steht, wird es von der Human Ressource Abteilung mit Workshops, Coachings und Seminaren gefüttert. Allein: Der Erfolg ist mager. Studien weisen immer wieder darauf hin, wie auch der Gallup-Report aus 2016, dass weder Arbeitsmotivation noch emotionale Bindung an dass Unternehmen oder außergewöhnliche Leistungsbereitschaft der Beschäftigten in den Unternehmen festzustellen wären. Sind etwa die Strategien und Schulungen wirkungslos oder müssten sie bei ausbleibendem Erfolg nicht einfach nur professioneller umgesetzt oder intensiviert werden? Kaum, es wäre nur der Speck in der Mehr-vom-Gleichen-Falle. Außerdem mangelt es weder an Praxisbezug noch an Könnerschaft in der Durchführung von Entwicklungsmaßnahmen.

Woran es aber mangelt, wird bei der Frage offenkundig, was Mitarbeiter arbeitsfreudig, leistungsmotiviert, eigeninitiativ und verantwortlich handeln lässt. Führungsforschung und die Alltagserfahrungen belegen nämlich eindrücklich, dass Mitarbeiter, die stolz sind, einer Organisation anzugehören, Aufstiegsmöglichkeiten geboten bekommen, über große Handlungsspielräume zur Erledigung ihrer Aufgaben verfügen, deren Fachlichkeit und Persönlichkeit geschätzt wie gefördert werden, maximal und voller Überzeugung ihre Leistung abrufen. Das setzt jedoch voraus, sie auch in der Rolle eines mitbestimmenden und initiierenden Mitarbeiters zu sehen. Das wäre jedoch ein Bruch des traditionellen Führungsverständnisses. Gewohntes aber anzuzweifeln, fällt Menschen schwer, weil es psychischen Aufwand bedeutet.

Und hier wird der klassische Denkfehler der Führungskräfteschulung sichtbar: Die Rechnung wird ohne den Wirt sprich Mitarbeiter gemacht. Führen geht traditionell von Macht und Einfluss aus und definiert sich durch das Interaktionsgeschehen von oben nach unten. Einer führt, ein anderer folgt. Eine solche Top-Down-Kultur ist aber längst nicht mehr zeitgemäß, da Strukturen vernetzt, Probleme kollaborativ und betrieblich Änderungen dynamisch sind. So gesehen nützt es nicht viel, die Beeinflussungskraft der Vorgesetzten mit noch mehr Psychologiewissen stärken zu wollen. Das Verständnis von geteilter Führung muss sich auf breiter Front verbreiten.

Reset des klassischen Führungsverständnisses

Führung kann dabei nur heißen, andere zur Führung und Selbststeuerung zu befähigen. In amerikanischen Leadershipdebatten findet man dafür den Begriff Empowering Leadership. Nicht mehr nur Chefs haben Macht und Einfluss. Je nach Anlass auch Mitarbeiter. „No ranks, no titels“ wird zum neuen alten Grundsatz einer hierarchiearmen Führung. Er erfordert jedoch ein fundamental anderes Verständnis von Personalentwicklung: Vorgesetzte dienen  ihren Mitarbeitern als Lernmodell für eigenverantwortliches Handeln  und Personalentwickler befähigen sie dazu  und bieten den Mitarbeitern Arbeitskonzepte, mit denen sie ihre neue „Führungsrolle“  schrittweise austesten und vervollkommnen können.

Das sind aber nur die notwendigen Eckpunkte eines neuen Führungskonzeptes. Hinzu kommen muss insgesamt eine Kultur des Teilens, Kollaborierens und Experimentierens. Ein Konzept des Wirtschaftens also, das ohne Direktiven, Appelle und Zeichnungsberechtigungen auskommt und auf Verantwortung, Proaktivität und Lernbereitschaft des Einzelnen setzt. Es ist verständlich, dass es anfangs dabei zu Friktionen und Selbstreinigungsprozessen kommt, denn nicht jeder kann und will sich darauf einlassen. Da helfen differentielle Arbeitsangebote, bei denen ohne Gesichtsverlust Mitarbeiter Alternativen wählen können.

 Die Praxis profitiert von geteilter Führung

Wie kann das nun alles gelingen, ohne gleich die große Strukturrevolution ausrufen zu müssen? Es ist gar nicht so schwer wie man auf den ersten Blick glauben möchte. Erfahrungen in einem stark command- und controlorganisierten Industriekonzern zeigen, dass Mitarbeiter und Vorgesetzte darin geschult werden können, ihre Arbeitsweisen nach individuellen Präferenzen zu gestalten und ihr Selbstführungspotenzial zu aktivieren. Nicht die konzernweite Einführung war dabei das Ziel, sondern dass diese Veränderungen in zunächst nur zwei Gruppen und einer Abteilung im  praxisrelevanten Kontext eingeführt werden. Der Bereichsvorstand monitort  und fördert den Strukturwandel über die Implementierung hinaus.

Auch die Vorbereitung auf die verteilte Verantwortung war schlank:

  • Mitarbeiter und Vorgesetzte erarbeiteten sich Strategien und Methoden, mit denen sie ihre Willenskräfte aktivieren, sich selbst motivieren, ihr Arbeitssystem gestalten und ambitionierte Ziele erreichen können.
  • In kollaborativen Workshops wurden realisierbare Restrukturierungen debattiert und verbindlich eingeleitet. Die Gruppen arbeiten ähnlich wie Qualitätszirkel: Wer eine Idee einbringt und andere davon überzeugt, der ist dann auch der „Chef“ für deren Umsetzung.

Die Bilanz nach einem Jahr war ermutigend: Große emotionale Bindungen an den Konzern, gestiegene Arbeitsmotivation, Produktivitätsverbesserungen von gut 30 %, die Fehlerquote sank von 10 auf 3 %. Eine Bilanz die sich sehen lassen kann und die zu einem Wechsel der Entwicklungsstrategie ermutigt.

Evidenz mit wenig Aufwand

Auch wenn es kein Hexenwerk ist, Wissen, Macht, Erfahrung und Zusammenarbeit neu zu sortieren, es wird erst nachhaltig, wenn

+ die neuen Rollen der Verantwortlichkeit klar definiert sind und jedem Orientierung geben,

+ die Fachexpertise und der Wertbeitrag des Einzelnen zentrale Wertschätzung erfahren und   

   nicht Funktionstitel über Einkommen und Ansehen entscheiden,

+ die Wertbeiträge der geteilten Führung erfasst und offensiv kommuniziert werden.

 

Man kann sich leicht vorstellen, dass solche Formate der Strukturinnovation die Eigenmotivation stimulieren. Und damit einen wesentlichen Treiber für den Aufbruch in eine neue Führungswelt verkörpern. Wer nur an ein paar außerhalb der Tradition liegenden Stellschräubchen dreht, kann die Tür zu ihr weit aufstoßen und signifikante Mehrwerte erzielen.

Kommentare

Danke! Das Blog bringt das Führunsproblem exakt auf den Punkt.

Sicherlich kann das klassisch Führungsverständnis eine Korrektur erfahren. Viel wichtiger ist aber die soziale Wertschätzung seiner Leute. Wenn die nämlich stimmt, ist ziemlich unbedeutend, ob hierarchisch geführt wird oder nicht.

Klasse Vorschläge! Den Altvorderen sollt man jedoch Bestandschutz geben und sie als "Seniorspecialists" von der Führung von Mitarbeitern entbinden. Projektarbeit ist gut geeignet, diesen Kno-how-Trägern ein positives Image zu verschaffen.

Ein wunderbar beschriebener Zustand der Führung und gute Impulse, ihn zu verändern! Aber: Wenn Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen, Ehrgeiz oder Belastbarkeit Auswahlkriterien für Führungskräfte sind, wird sich kaum was im Bewusstsein ändern. Siegen heißt, ohne Rücksicht auf andere dominieren zu wollen. Das System zieht sich seine passenden Teile selbst heran und wird so immun gegen Veränderungen.

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