Experteninterview: Entscheiden und Handeln in komplexen Situationen

System Management

Von Walter Braun

Interview von Reiner Kohlbrecher vom MMI mit Walter Braun von SYSTEM-MANAGEMENT Diplom-Psychologe Walter Braun

Warum wird es immer notwendiger, mit komplexen Situationen umgehen zu können?

Verantwortlich handelnde Menschen werden immer häufiger mit Situationen konfrontiert, bei denen fachspezifisches Wissen nicht mehr ausreicht und gleichzeitig eine Vielzahl von einzelnen Aspekten zu berücksichtigen sind. Dies hat in der Regel damit zu tun, dass sich das berufliche Umfeld in einem steten Wandel befindet und immer mehr Einzelinteressen eine Rolle spielen. Wer sich als Autohändler heutzutage erfolgreich in einem immer schwieriger werdenden Marktumfeld positionieren muss, weiß ein Lied davon zu singen.

 

Wann kann man eine Situation als komplex bezeichnen?

Nun, es gibt zwar kein Messinstrument, das eindeutig den Komplexitätsgrad einer Situation feststellen kann, man kann aber anhand von einigen Kriterien ein Komplexitätsraster erstellen. So sind etwa die Anzahl der einzelnen, ein Problem konstituierenden Aspekte, deren Vernetzung untereinander und jeweiligen Auswirkungen aufeinander wichtige Indikatoren. Wenn dann auf Grund der hohen Vernetztheit noch unklare Ziele und in deren Folge eine gewisse Wahrscheinlichkeit von Neben- und unbeabsichtigten Fernwirkungen zu erwarten sind und der Handelnde auch nicht einmal genau weiß, was passiert, wenn er etwa sein Projektbudget erhöht, dann kann man anhand von solchen Merkmalen Komplexität charakterisieren.

 

Wie sollte man vorgehen, wenn solche Situationen gegeben sind und man mit den üblichen Verhaltensweisen nicht weiterkommt?

In solchen Situationen ist zunächst einmal wichtig, den ursprünglichen Impuls zum schnellen Handeln zu unterdrücken und sich erst mit den einzelnen Aspekten der Situation vertraut machen. Also, worum geht es eigentlich, was sind die Ziele, wie stellt sich das Problem aus unterschiedlichen Blickwinkeln dar. Auf dieser Basis kann man dann einige Szenarien durchspielen und aus diesem Kopfkino heraus sich schon einmal vertraut mit der Situation machen. Das ist dann eine gute Grundlage für ein gelenktes Versuch-Irrtum-Korrektur-Vorgehen. Im Prinzip ist es nichts anderes als vernetzt zu handeln.

 

Wie kann man vernetztes Denken trainieren?

Unvernetztes Denken gibt es im Prinzip nicht. Unser Gehirn ist per Geburt auf Vernetzung ausgelegt. Wir werden dann zwar im Laufe unseres Erwachsenenlebens immer mehr zum Spezialist und immer weniger zum Generalist. Diesen Prozess kann man aber aufhalten, indem Menschen lernen, aus Netzbildern heraus ein Verständnis für die Situation zu entwickeln, diese Vernetzungen zur Grundlage von Entscheidungen heranzuziehen und sich außerdem über die Begrenztheit der menschlichen Logik bewusst werden. Ein gutes Trainingsfeld besteht im PC-gestützten Simulieren von Situationen. Diese Situationen sollten mit dem konkreten realen Arbeitsplatz am besten nichts zu tun haben, da sonst nur fachspezifisches Wissen trainiert wird. Je abstrakter Menschen denken können, um so leichter fällt es ihnen, mit neuen und unvorhergesehenen Situationen umzugehen.

 

Welche Rolle spielt die Intuition beim Bewältigen von Komplexität?

Zunächst eine hilfreiche und dann eine tragische Rolle. Eine hilfreiche deswegen, weil wir Menschen in komplexen Situationen zunächst auf unser Bauchgefühl angewiesen sind, da wir ja schließlich mit einer völlig neuen Situation, für die wir keine Blaupause besitzen, konfrontiert sind. Wichtig ist nun, den intuitiven Impulsen nicht einfach nur nachzugeben, sondern sie auf Brauchbarkeit vor dem Hintergrund pragmatischer Ziele zu überprüfen und das weitere Vorgehen zu planen. Die Tragik besteht darin, dass die Intuition immer abhängig ist von den lebenslang gemachten Erfahrungen. Wenn nun eine neue Situation eintritt, muss dies nicht automatisch schon in irgendeinem Erfahrungsmuster abgelegt sein. Oftmals handeln wir dann auf der Grundlage uralter, aber eben nicht mehr adäquater Verhaltensstrategien.

 

Welche Kardinalfehler macht man im Umgang mit Komplexität?

Es mag irritieren, aber wir Menschen betrachten Situationen prinzipiell als lösbar. Hier wäre mehr Demut angesagt, denn Komplexität ist nicht immer beherrschbar. Ein weiterer Kardinalfehler liegt darin, dass wir zu stark auf Ziele fixiert sind. In komplexen Situationen mit ihren vielfältigen Möglichkeiten sind enggefasste Teilziele aber eher hinderlich, weil sie den Horizont einengen. Ein dritter wichtiger Kardinalfehler liegt in unserem Denkstil. Bei uns Menschen dominiert immer die unbewusste Macht der eigenen Idee und die Schwierigkeit, sich in andere außer den selbst erlebten Situationen hineinzufühlen. Wir handeln dann zu schnell, unterliegen der Kontrollillusion und arbeiten linear der Reihe nach einzelne Schritte ab, ohne die Vernetztheit jeweils zu beachten.

 

Wenn Sie drei Kernbotschaften für den Umgang mit Komplexität formulieren sollten, welche wären das und warum?

Wir denken zu schnell in Lösungen und versäumen die Voraussetzungen erst einmal dafür zu schaffen. Eine weitere Kernbotschaft liegt darin, mehrere Perspektiven bei der Problembetrachtung einzunehmen und damit den Problemzugang zu erweitern und Zusammenhänge erkennen zu können. Die dritte Kernbotschaft lautet: Prioritäten aus den Zusammenhängen der einzelnen Aspekte abzuleiten und damit die Effizienz der Problemlösungsschritte deutlich zu erhöhen. Dies kann mit einfachen Methoden wie etwa Netzbild oder Sensitivitätsmatrix erfolgen.

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