Mit Augenmaß dem Digihype begegnen und wie drei Schlussfolgerungen dabei helfen können

System Management

Von Walter Braun

Kein Tag ohne bedeutungsschwangere Berichte über Arbeit 4.0, Industrie 2.0, Disruption oder Digitalisierung und Dematerialisierung. Dazu Bedrohungsszenarien aus der Welt des Cybercrimes inklusive einer babylonischen Sprachverwirrung zwischen Spezialisten und dem gemeinen Volk derer, die jeden Tag Entscheidungen über den betrieblichen Fortgang treffen. Es kann einem schon schwindelig werden und es wird daher Zeit, wieder etwas ruhiger zu werden.

 

Nicht dass das alles evidente Fakten einer sich immer schneller wandelnden Wirtschaft wären, ist besorgniserregend, sondern die Ausschließlichkeit und Alternativlosigkeit ihrer Inhalte. Sie stumpfen Entscheidungsträger nach kurzer Zeit eher ab, anstatt sie für vielleicht notwendige Veränderungen zu sensibilisieren. Traditionelle Geschäftsmodelle sind „oldschool“, obwohl sie immer noch die Mehrheit der Weltwirtschaft ausmachen. Deren Weiterentwicklung und Optimierung verlieren sich im Schatten von Big Data und Kongressreden.

 

Der Ruf nach Digitalisierung und Innovation wird zunehmend lauter. So laut, dass man die Frage nach seinem Sinn und seiner Berechtigung gar nicht mehr hört. Wenn das Geschrei der wortstarken „Experten“ dann etwas nachlässt, kann man innehalten und drei digitalfreie Wahrheiten einer Unternehmensentwicklung erkennen:

  1. Unternehmen stehen schon immer unter enormen Anpassungs- und Gestaltungsdruck – jetzt eben vor dem Hintergrund digitalgebundener Technologien.
  2. Die Resistenz gegenüber Veränderungen ist menschlich typisch und wird befeuert und aufrechterhalten durch Organigramm-Ideologien, Command- und Controlmentalitäten sowie Budgetdogmatik. Deren innere Logiken liegen im Versprechen von Sicherheit und Berechenbarkeit.
  3. Wer am effektivsten die Bedarfe und Bedürfnisse seiner Märkte erkennt und darauf eingeht, hat temporäre Wettbewerbsvorteile.

Soweit ist also alles wie immer: Transformation gehört zur Normalität einer Wirtschaft und Unternehmensentwicklung.

 

Schlussfolgerung 1:

Füße stillhalten, Überblick über die Situation verschaffen und tabufrei problemrelevante Aspekte aus verschiedenen Perspektiven identifizieren.

Im Gegensatz zu früheren Zeiten, werden zur Beurteilung des Veränderungsdrucks und von Entwicklungsoptionen heute jedoch

  • umfassende technologische Kompetenzen (etwa IT-Kompetenz) und
  • tabubrechende Kreativität und Erfahrungsvielfalt

zu notwendigen Bedingungen eines geplanten und gewollten Wandels. Hinreichend für den Erfolg sind sie aber bei Weitem noch nicht. Das Wie der Transformationen wird zum Engpass bzw. evident:

  • In welchem wirtschaftlichen, politischen, technologischen und gesellschaftlichen Kontext steht der geforderte Wandel im Betrieb?
  • Was sind die übergeordneten Ideen, Bilder und Geschichten (Visionen) des Wandels und welche Ziele sind daraus abzuleiten?
  • Welche Stärken, Schwächen und Potenziale sind bei dem Wandel zu beachten und welche Risiken und Chancen ergeben sich daraus?
  • Was sind gehbare Wege, um den Wandel absichtsvoll herbeizuführen und zu steuern (Strategien)?
  • Welche Maßnahmen sind zielführend und wie lassen sie sich untereinander und mit den Zielen vernetzen?
  • An welchen Indikatoren können Fortschritte abgelesen werden?
  • Welche Exit- bzw. Alternativszenarien helfen, sunk costs zu verhindern`?

Mit solchen Konzept begründenden Fragen lässt sich beim „Wie“ der Drang zur schnellen Lösung ausbremsen und die Basis für ein solides, nachhaltiges Umsetzen schaffen. Ein Muss für das Handeln in einer komplexen Welt von Anforderungen, will man sich nicht in endlosen Korrekturschleifen verfangen.

 

Schlussfolgerung 2:

Veränderungsrelevante Merkmale zueinander in Beziehung bringen und erst dann in die Handlungsplanung einsteigen.

Aus beiden Schlussfolgerungen kann etwas Interessantes zutage gefördert werden: Nicht alles, was komplex daherkommt ist auch komplex. Und etwas, was vermeintlich Standard ist, ist unter einer anderen Perspektive betrachtet dynamisch und vielfältig.

Ein systemisch kritischer Blick auf die lautstark vorgetragenen Herausforderungen einer zukunftgerichteten Organisation erkennt die wechselhafte, unsichere, komplexe und vieldeutige  (VUCA-)Welt oft als unterhaltsames Vortragsthema, hin und wieder als interessanten Aufrüttler und gelegentlich als real vorhandene Situation.

Und an dieser Stelle trennt sich die Hype-Streu vom VUCA-Weizen. Denn erst,

+ wenn viele Aspekte im proklamierten Wandel eine Rolle spielen,

+ diese auch untereinander vernetzt sind,

+ sogar Neben- und Fernwirkungen verursachen,

+ sich ohne Zutun von außen verändern und

+ deren Wirkzusammenhänge nicht so genau zu erfassen sind,

lohnt es sich, mit komplexitätsaffinen Vorgehensweisen wie etwa der oben beschriebenen Schrittfolge, Simulation von Szenarien oder system dynamics-methods (Sensitivitätsanalysen, Netzbilder etc.) vorzugehen. Und bei diesem Vorgehen sind nicht die Methoden der Olymp des Erfolgs, sondern die sie praktizierenden Menschen. Menschen, die über ihre Fachlichkeit hinaus denken und handeln, ihre Vorlieben kennen und relativieren, ihr Wissen und ihre Erfahrung mit anderen teilen und die Nützlichkeit im Wandel für sich und ihren Betrieb erkennen.

 

Schlussfolgerung 3:

Vorgehensweisen und Methoden sind notwendige, die menschliche Kultur des Denkens und Handelns hinreichende Bedingungen für das Herbeiführen eines gewollten und gelenkten Wandels – ob digital oder analog ist dabei nur für die Inhalte interessant.

Eine Arbeitskultur, die zulässt, fröhlich gegen den Mainstream zu bürsten, frisch und unvoreingenommen Zukunft zu denken und bei allem das Maß zwischen Tatendrang und Müßiggang zu finden, erleichtert die Umsetzung der genannten Schlussfolgerungen. Das wäre doch mal ein Ansatz für innovative Organisations- und Personalentwickler.

Kommentare

Sie haben recht: Nicht alles, was unter dem Stichwort Digitalisierung durch die einschlägigen Gazetten getrieben wird, ist für uns Mittelständler sinnvoll. Beim genauen Hinsehen entpuppt sich dann sich die digitale Transformation als eine früher SPS genannte Fertigungstechnologie. Ihre Schlussfolgerungen treffen ins Schwarze.

Volles Einverständnis! Leider dominieren im Business Überwiegend ZDF und Methoden. Dabei ist doch klar, dass shit in auch shit out bedeutet. Mal sehen, wann die Unternehmensentwickler das verstehen werden.

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