Ohne Stabilität keine Agilität

System Management

Von Walter Braun

Wer immer auch mit schwierigen, komplexen und schnelllebigen Situationen einigermaßen erfolgreich umgehen möchte, braucht ein stabiles Nervenkostüm und ein schnelles Lernen. Was für den Menschen gilt, gilt auch für Unternehmen.

Allerorten wird agilen Unternehmen Zukunftsfähigkeit in einem sich rasant wandelnden Markt attestiert. Agilität heißt in diesem Sinne, Strukturen, Prozesse und Kulturen flexibel und schnell an veränderte Situationen anpassen zu können. Je rascher sich Anforderungen ändern,  umso höher sollte die Bereitschaft sein, mit Traditionen radikal zu brechen. So jedenfalls die zum Teil dogmatisch anmutenden Überlebensempfehlungen von sogenannten Top-Consultants und Bestsellerautoren.

Doch stimmt denn das überhaupt und ist das nicht wieder nur eine weitere durch das Business-Dorf gejagte Strategiesau?

Offensichtlich ist nämlich auch, dass jede gelungene Anpassung eine grundsolide und verlässliche Basis als Ursache besitzt. Ohne eine verlässliche Produktherstellung können volatile Kundenstrategien kaum greifen, weil Lieferprobleme deren Umsetzung gefährden würden. Ohne eingespielte Kultur und Kommunikationsprozesse können fachübergreifende Entscheidungen kaum zeitnah getroffen werden, weil endlose Abstimmungen in Gremien deren Beschließung lähmen würden. Ohne ein gemeinsames Verständnis von Compliance können interkulturelle Marktstrategien kaum skandalfrei umgesetzt werden, weil kulturell geprägtes Rechtsverhalten die proklamierte Unternehmensmoral karikieren würde. Und ohne eine gewachsene Identifikation mit dem Unternehmen können strukturflexible Arbeitskonzepte kaum konfliktarm realisiert werden, weil Verlustängste und persönliche Nutzenmaximierung die individuellen Handlungen prägen würden.

Die Basis allen agilen Wandels ist also ein stabiles Rückgrat. So wie ein PC ein stabiles Betriebssystem, ein Auto einen verlässlichen Motor oder ein Pedilec einen robusten Akku, so benötigen agile Unternehmen eingespielte Basisroutinen, um dynamisch agieren zu können. Flexibilität beruht auf Stabilität. Die stabile Verfassung eines Unternehmens ist ihr Rückgrat, das Effizienz sicherstellt, Belastungen aushält und Innovationen trotz Widerständen ermöglicht. Die Wirbel dieses stabilen Rückgrats sind loyale Mitarbeiter, transparente Kommunikation, wenige, aber verbindlich gelebte Compliance-Regeln und eine selbstführungsunterstützende und wertschätzenden Leistungskultur.

Agilität manifestiert sich auf dem Hintergrund dieser stabile Basis  - wie eine App über das Betriebssystem. Agilität entsteht durch die hohe Kompetenz der Menschen, die Funktionstüchtigkeit der Prozesse und die Zusammenhaltskultur. Erst in diesem Kontext schafft sie die Transformation und den Aufbruch in die anlassbezogenen Umbrüche der Geschäftsmodelle. Fuji-Film etwa disruptierte relativ problemfrei und rasch vom Negativfilm-Hersteller zum Pharmaproduzenten, weil die qualitative und quantitative Infrastruktur der ruhende Pol der Marktanpassung waren. Coca Cola gelingt seit Jahren erfolgreich die Regionalisierung, weil sie professionell Matrixstrukturen umsetzt. Und W. L. Gore & Associates sind marktagil, weil sie kleinzellig und robusten Demokratieregeln vertrauend operieren.

Wer agil sein möchte, solle also zunächst seine geschäftskritischen Unternehmensnuggets identifizieren. Das mögen in dem einen Unternehmen die Produktionsroutinen, in einem anderen die Lieferfähigkeiten und in einem dritten die IT-Architektur plus das Mitarbeiterpotenzial sein. Vor dem Hintergrund dieser „Assetts“ können dann anlassbezogen zu notwendigen Veränderungen die kulturellen, strategischen und strukturellen Konsequenzen definiert und Aufträge an temporär und interdisziplinär arbeitende Projektteams übertragen werden.

Bevor man am System arbeitet, muss man sich im System sicher bewegen. Das bedeutet, perfekte Kenntnisse über Funktionsweisen, Kultur etc. mit dem Mut zum Risiko und der Bereitschaft zur begrenzten Instabilität zu verbinden.

Zusammengefasst: Erst wenn die geschäftskritischen Aspekte belastungsresistent funktionieren, können Gewohnheiten radikal aufgebrochen und verändert werden. Umgekehrtes Vorgehen würde zu Chaos und Überforderungen von Menschen führen.

Kommentare

Für uns Mittelständler sind das alles nur beratergetriebene Worthülsen. Wir passen uns schnell an neue Märkte an und lassen uns Zeit für deren Durchdringung. Wenn das dann "Agilty" heißt, soll's uns recht sein. Jedenfalls finde ich es angemessen, wie Sie das Thema einordnen.

Anpassungsfähigkeit an die veränderten und sich verändernden Rahmenbedingungen eines Unternehmens war schon immer ein wichtiger Baustein für den Betriebserfolg. Dass die Globalisierung der Märkte zu vielen Abhängigkeiten führt, die den Zwang zur schnellen Reaktion erhöhen, ist auch nicht originell neu. Deshalb: Augenmaß bei Veränderungen. So rasch wie nötig und so behutsam wie möglich, sind für mich Denkansätze bei eingeforderten Veränderungen.

Verlässlichkeit und Qualität sind die notwendigen Bedingungen für jede Veränderung. Wer immer nur nach Moden seine Konzepte ausrichtet, wird kurzfristig vielleicht Erwähnung finden, langfristig jedoch mangels Substanz nicht mehr stattfinden. Wie rasante Strategiewechsel, shareholderfixiertes Umsetzen, das Auflösen von tradierten Geschäftsmodellen die Jahrzehnte bewährte Stabilität eines Unternehmens auf Null setzt, macht ein Baukonzern gerade vor.

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