Warum mit Lautstärke und Appellen dem wirtschaftlichen Wandel nicht beizukommen ist und was vielleicht besser wäre

System Management

Von Walter Braun

 

Dass die Wirtschaft im Wandel ist, ist angesichts der dynamischen Veränderung von manchen Geschäftsmodellen weitestgehend Konsens. Dass sie aber sehr branchenspezifisch daherkommt und daher differenziert betrachtet werden muss, oftmals jedoch nicht. Zu gerne wird generalisiert und über einen Leisten geschlagen.

 

Etwas Provokation zum Warmwerden

Es kommt, wie es in volatilen Zeiten kommen muss: Die einen rufen mit fester Stimme nach flexiblen und digital formatierten Strukturen. Die anderen halten am Alten fest und bezeichnen ebenso laut den Ruf nach agilen Geschäftsmodellen als hysterische Panikmache. Die einen verlieren sich im Erbsen zählen. Die anderen in abstrakte Diskussion. Beide Lager werden von „Experten“ munitioniert. „IT-Experten“ verwechseln Komplexität mit Kompliziertheit und helfen bei der digitalen Transformation mit ausgefuchsten Wenn-Dann-Strategien. Komplexitätsagenten sehen mitunter Komplexität, wo keine ist. Die digital Beseelten trivialisieren die Probleme, indem sie mit Entscheidungsbäumen meinen, ähnlich der Funktionsweise eines Motors komplexe Situationen beherrschen zu können. Disruptionsanhänger verwerfen ohne Not erfolgreiche Geschäftsmodelle und simulieren auf Teufel komm raus die kühnsten Strategieszenarien mit dem Ergebnis einer maximalen Verunsicherung bei der Umsetzung. Zugegeben, eine provozierende Sicht.

 

Ein bisschen mehr Psychologie und etwas weniger Ideologie

Mit rabulistischer Kraft rufen Vorstandssprecher eine neue Zeitenwende und Extrameilen aus und mit gleicher Kraft aber klandestin, still und leise bleibt die Truppe doch irgendwie beim Alten. Eine logische Konsequenz, denn weder Herz noch Verstand der Mitarbeiter wurden auf die proklamierte „ Zeitenwende“ vorbereitet. So wächst sich die meist unbewusst ausgelöste Hilflosigkeit bezüglich des Wies zum veritablen Ärger über „die da oben“ aus. Um das, Psychologen nennen es Kontrollbedürfnis, bedrohte Kompetenzerlebnis wieder herzustellen, verfolgen Menschen dann in solchen Situationen mehrere, weitestgehend unbewusst initiierte Strategien. Sie

  • ziehen sich auf vertrautes Terrain zurück,
  • machen es weitestgehend so wie immer und finden viele Gründe auch noch für dieses Verhalten,
  • bekämpfen offensiv das Neue als den Feind des Alten, indem sie durchaus vernünftige Argumente für das Scheitern bemühen und Mehrheiten dafür suchen,
  • versteifen sich auf ihre Sicht der Dinge, die schließlich aus begründeter Erfahrung und hoher Expertise resultiert.
  • vereinfachen oder externalisieren die Notwendigkeit der Anforderungen und haben damit ein gutes Gefühl, es doch besser beim Alten lassen zu können,

um nur einige Vorgehensweisen zum Erhalt des Kompetenzgefühls zu nennen.

 

Die Logik des Scheiterns

Nun kann es ja durchaus notwendig sein, neue Geschäftsmodelle, digitale Strategien (IoT), nachhaltige Leitlinien, revidierte Produkt- und Marktkonzeptionen, Fusion von Abteilungen o. a. auszurufen. Mit Direktiven, Beschlüssen oder Appellen werden solche Veränderungen aber nicht auf den Weg zu bringen sein. Auch Mitarbeiter „ins Boot holen“, an Entscheidungen beteiligen, über den Kontext der Veränderung informieren wirken nur vordergründig modern und professionell. Solange nämlich Mitarbeiter Sorge vor dem Neuen haben, knirscht die Umsetzung. Denn trotz Appellen fühlen sich Mitarbeiter unsicher, machtlos und überfordert. Zuviel Neues. Zuwenig Blaupausen. Zu welchen irrationalen Entscheidungen wir Menschen bei Überforderung neigen, sehen wir täglich, wenn wir uns mal wieder dabei ertappen, dass wir eigentlich doch etwas ganz anderes machen wollten, schnell mit einem Ergebnis zufrieden waren, nicht vom Ende her dachten, mal wieder zu schnell in Lösungen dachten, ohne eine Basis dafür erarbeitet zu haben, oder zentrale Informationen einfach ignorierten, weil wir sie vorschnell als unwichtig abstempelten. Die Logik des Scheiterns liegt in der Summe der vielen kleinen menschlichen Bewältigungsanomalien in komplexen Situationen. Solchen, die für sich genommen eigentlich gar keine bedrohliche Rolle spielen und deswegen auch gern übersehen werden.

 

Blaupausen und Rezepte gibt es nicht, aber ...

Wenn wir das alles nachvollziehen und eine gewisse Plausibilität in den Aussagen erkennen, wird klar, dass es keinen Königsweg für den Umgang mit Veränderungen und noch weniger Rezepte dafür geben kann. Es gibt aber Optionen

... auf Komplexität einstimmen

Einen Zugang zum Meistern von komplexen Veränderungen kann darin liegen, dass man Mitarbeitern mit einem gelenkten Reflexionslernen dabei hilft,

  • die menschliche „Logik des Misslingens“ verstehen,
  • systemische Vorgehensweisen und Methoden zum Entscheiden und Handeln wählen,
  • Experimentieren und Simulieren als strategische Arbeitsmittel praktizieren

zu können, um auch in Situationen mit vielen Unbekannten und unbedachten Neben- oder Fernwirkungen handlungsfähig zu bleiben. 

... Selbstführung stärken 

Ein weiterer Zugang eröffnet sich über die Fähigkeit zur Selbstführung. Dort wo Sicherheiten, Vorgaben, Vertrautes etc. fehlen, ist der Mensch auf seine Ressourcen und seine Persönlichkeit angewiesen. Wenn er in solchen Situationen seine Stärken, Schwächen und Potenziale erkennt, kann er deren Funktionalität in der jeweiligen Situation gezielt einbringen und seinen Wirkungsgrad erhöhen. So kann eine vermeintliche Schwäche wie etwa „entscheidungsschwach“ dann zur Stärke werden, weil mehrere Optionen zutage gefördert werden können, bevor ein Entschluss herbei geführt wird. Wie umgekehrt „Entschlusskraft“ genau dies verhindert und dann eher zur Schwäche mutiert. Wer weiß, wie mentales Simulieren von Absichten oder innere Dialoge deren Umsetzung beeinflussen, kann auf einer realistischen Grundlage „Handlungskompetenz“ auch in solchen unsicheren Situationen erleben. Sie entsteht aus der inneren Transparenz und ermöglicht, selbstgesteuert neue Verhaltensweisen zu gestalten, zu kontrollieren und alte eher hinderliche Verhaltensweisen abzubauen.

Befähigen im Umgang mit Komplexität und zur Entwicklung von Selbstführungsfähigkeit sind kompetenzstärkende Optionen, die nicht zu unterschätzen sind und jedenfalls vor dem Ausrufen von Direktiven und Appellen stattfinden sollten.  Der Weg zum smarten Arbeiten an den Herausforderungen wird dann nämlich mit viel Selbstvertrauen, -disziplin und –entfaltung gepflastert sein und der Mensch und nicht der Appell im Focus der Veränderung stehen.

Wenn der Boden gut bereitet ist, ist die Chance auf eine gute Ernte größer. Außerdem können wir damit den nicht immer wünschenswerten Reflex nach schnellen Lösungen und deren Umsetzung etwas ausbremsen. Der Hype hat die Chance wieder zur Normalität zurück zu finden, und das „Weiterso“ zur kreativen Zerschlagung. Das wäre doch schon einmal ein Fortschritt – oder?!.

Kommentare

Ohne Appell an die Einsicht geht es aber auch nicht. Schließlich müssen es die Mitarbeiter auch wollen und das hat mit Einsehen und Akzeptanz zu tun. Wer das nicht zeigt, sollte seine Stelle verlassen.

Die Tragik des Experten liegt darin, dass er einerseits detailkompetent helfen kann, andererseits aber im Tunnelblick für größere Zusammenhänge eher blind ist. So tun sich gerade Strategieberater schwer, aus ihrer Denkrille herauszukommen und andere Perspektiven einzunehmen. Geradezu tragisch findet man das bei den IT-Beratern, die exzellente Wenn-Dann-Denker sind und das mit "komplexitätskompetent" bezeichnen. Der Wandel, so er überhaupt ansteht, lässt sich mit diesen "Experten" nicht bewältigen. Ihr Plädoyer gefällt mir da schon besser. Generalistisches Denken mit gesundem Menschebverstand und (Sebs-)reflektion ersetzen vieles Schlaumeiern!

Fachliche Qualifikation wird unterschätzt und ist doch die Ursache für einen kompeten und erfolsfähigen Betrieb! Die im Artikel genannten Ansätze sind zwar wichtig, aber stehen doch nur auf der Agenda von den Entscheidern an der Unternehmensspitze.

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