Arbeit 4.0 - nichts ist mehr wie es mal war

System Management

Von Walter Braun

Sich selbst wartende Maschinen, autonom gesteuerte Warenwirtschaftssysteme oder Apps zum Starten von Autos, die auch noch ohne Fahrer auskommen, zeigen mehr als deutlich die Charakteristika der Wirtschaft 4.0. Es ist eine Entwicklung, die schon exponentiellen Charakter hat. Das Überraschende dieses rasanten Verlaufs liegt auch daran, dass die wirtschafts- und gesellschaftspolitische kaum wahrgenommene Problematik der Mensch-Maschine-Interaktion in der sogenannten Industrie 3.0 und der lange Zeitraum zwischen der Elektrifizierung (Industrie 2.0) und der Mechanisierung der Wirtschaft (Industrie 1.0) die Entwicklungslinien überschaubar und die Veränderungsdynamik beherrschbar erscheinen ließen.

Die Zeit, sich auf die drastisch wandelnden Situationen in aller Ruhe vorzubereiten, gibt es aber nicht mehr. Eben waren es noch Billiggießer in China. Jetzt schon autobauende Softwaregiganten, die ganze Branchen bedrohen. Morgen purzeln Häuser aus 3D Druckern. Und übermorgen ersetzen Mikrochips das menschliche Herz. Die technischen Innovationen rasen auf der Überholspur am analogen Verstehenkönnen vorbei. Im Umkehrschluss heißt das, dass wir angesichts der hohen Komplexität dieser Veränderungsdynamik bereit sein müssen, alte Zöpfe radikal abzuschneiden, aus verschiedenen Blickwinkeln und vom Ende her die Entwicklungen und Anforderungen zu beleuchten und experimentierfreudig mangels tauglicher Blaupausen aus der Vergangenheit mehrere Handlungsoptionen gleichzeitig durchzuspielen.

Dass Wirtschaft im Umbruch ist, ist nicht neu. Die Geschwindigkeit und rasante Disruption bewährter Strukturen sind neu. Denken und Handeln sind aber immer noch „Old School“-fixiert. Strukturen in Organigramme gegossen. Wagemut in Zuständigkeitsdogmen auf Null gedreht. Flexibilität in Hierarchien eingefangen. Die Prinzipien einer lernenden Organisation als „Theorie“ diskreditiert

Wenn wir im Anflug von auch nur etwas Sensibilität diesen Zustand erkennen, dürfen wir nicht der Wahrnehmungsabwehr bedrohlicher Situationen nachgeben, sondern müssen im Schumpeter’schen Sinn bestehende Strukturen und Modelle des Arbeitens kreativ zerstören.

Flexibilität lässt sich nicht in Organigrammdogmen realisieren. Also weg damit und hin zu flexiblen, interdisziplinären Arbeitsformen. Wagemut lässt sich nicht in hierarchischer Führung enwickeln. Also weg mit Command und Control in Unternehmen und hin zu selbst organisierten Strukturen und sich selbstführenden Mitarbeitern. Wer mit Komplexität umgehen möchte, muss lernen, Unbestimmtheit zu ertragen und aus dynamischen Vernetzungen heraus Prioritäten zu setzen. Wenn-dann-Kaskaden gaukeln nur Komplexitätskompetenz vor und müssen ersetzt werden durch systemisches Handeln. Methoden- und Kennzahlenfixierung der „Old Economy“ sollten, wenn überhaupt, eher randständig werden und durch Simulationstechniken, Szenarienarbeit, Visualisierungsmethoden etc. ersetzt werden. Dazu braucht es keine statusbeseelten Führungskräfte, sondern Menschen, die fähig sind, ihre je spezifischen Erfahrungen mit anderen zu teilen, sich auf andere einzulassen, Selbstverantwortung zu übernehmen und Komplexität zu meistern. In der Regel sind das dann selbstreflektierende, gut ausgebildete und Unsicherheit aushaltende Menschen.

Die Zeichen weisen in Richtung agile, sich proaktiv selbst vorantreibende Unternehmen, deren Mitarbeiter die Innovationen, Vernetzung des Wissens und Leistungskultur tragen. Selbstmotivierte Menschen, technologische Exzellenz und flexible Arbeitsstrukturen werden dabei die Grundpfeiler und Voraussetzungen der künftigen Geschäftsmodelle sein. No ranks, no titles funktioniert seit Jahren wie W. L. GORE & Associates belegt. Auch die Holacracy genannten basisdemokratisch ausgelegten Netzwerkstrukturen vieler Gründerfirmen im Silicon Valley und anderswo weisen auf strukturelle Optionen hin. Strukturen also, die kollaboratives Arbeiten erzwingen, um der Komplexität standhalten zu können. Wer Komplexität mit Kennzahlen beherrschen will, wie es KPIs insinuieren, kommt schnell an seine Grenzen. Experimentieren und Zukunftsdenken stehen auf der Agenda. Eine zeitgemäße Personalentwicklung bietet dafür Konzepte und Instrumente. Sie rückt Fähigkeiten zur Selbstführung und zum systemischen Handeln in den Zielekatalog ihres Angebots und schafft Formate für einen arbeitsimmanenten Know-how-Transfer.

Als Zukunftskonferenz angelegt, befasste sich ein Unternehmer der Schlossindustrie mit den langfristigen Auswirkungen der zunehmend App-gesteuerten Fahrzeugzugänge: Schlüssel braucht es nicht mehr. Mitarbeiter und Menschen, die diesen entwickeln bzw. fertigen, auch nicht mehr. Auch Werkzeuge dafür nicht. Auch ... . Die nächste Veranstaltung im Unternehmen befasst sich mit den Chancen. Man darf schon gespannt sein! Dass also Google Autos baut, ein japanischer Softwareproduzent Häuser und Fuji Pharmaprodukte entwickelt, sind nur konsequente Folgen von vorausschauendem Planen und Handeln unter den Bedingungen der Wirtschaft 4.0.

Kommentare

Neues wirkt bedrohlich und findet daher nur schwer den Weg in unsere Bereitschaft, es zuzulassen. Man sollte deswegen auch eher von Chancen als von Bedrohungen reden. Wir haben uns als herstellender Betriebe schon vor drei Jahren vom Prototypenbau verabschiedet und eine Tochter für 3D Druck, weil wir damit ein nicht nur uns nützliches Geschäftsmodell realisieren konnten

Zu den Zkunft bestimmenden Fähigkeiten von Fach- und Führungskräften gehören zweifelsfrei systemisches Denken und Handeln. Nur damit kann man den beschriebenen Situationen gerecht werden.

Vieles wird nicht neu sein,sondern ignoriert werden. Der Handel weiß schon lange, dass der Kunde online kaufen und stationär retournieren will. Kaum einer der Händler sieht hier die Chance sich beim Kunden beliebt zu machen und ihn an sich zu binden. Als ich das meinem Chef mal vorschlug, winkte er nur ab. Wie wollen solche Menschen dann Arbeit 4.0 begegnen. Seit Langem sehe ich da schwarz!

Es kommt doch immer noch darauf an, dass bei der Überlegung, wie Märkte funktionieren, man aus der Vergngenheit lernt. Auch Innovationen sind Verbesserungen bestehender Produkte. Bevor wir also nervös werden angesichts inflationärer 4.0 Diskussionen, sollten wir erst überlegen, wie wir mit den bestehenden Strukturen und Menschen noch besser werden. Wenn dann daraus neue Arbeitsformen entstehen sollten, sind sie nichts weiter als die Veredlung der alten. Also: ruhig Blut, Kollegen!

Solange Karriere mit Aufsteigen verknüpft ist, wird nur die gewinnbringende und dem persönlichen Nutzen dienende Strategie gewählt. Risiko und "Experimentieren" werden eloquent vermieden. Alles bleibt beim Alten und die Frage "Bringt uns das Geschäft?" erstickt den Mut und unterdrückt das Signal zum Umbruch. Hier kann nur die Spitze das glaubwürdig vorleben. Wenn das dann Traditionalisten sind, gute Nacht Deutschland!

Amazon hat Platzhirsche wie Wal-Mart aufgemischt, weil die Mitarbeiterproduktivität um ein Vielfaches höher als im stationären Handel ist. Mit der Zunahme dematrieller Geschäftsmodelle wird das klassische Industrieunternehmen an Bedeutung verlieren. Die Elektronik beherrscht die Mechanik, so dass der herstellende Sektor abnimmt. Auch die stofflichen Ressourcen der Erde erschöpfen sich erkennbar rasch und die CO2 Belastungsgrenzen sind bereits erreicht. Die politisch ausgerufene carbonfreeworld zwingt zum Nachdenken über alternative Know-how-Nutzung. Wer das nicht tut, dem wird in Zukunft nicht mehr helfen zu sein. Ernüchternd ist allerdings, dass von deutschen Unternehmern Industrie 4.0 noch weitgehend ignoriert wird wie unlängst eine Studie zeigte. Offenbar versagen hier auch die Branchenverbände in ihrer Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliedersensibilisierung.

Mir kommt es so vor, als ob manchen Verantwortlichen die Situation nicht klar genug ist. Bei Arbeiten 4.0 geht es nicht darum, zu überlegen, ob ein Mitarbeiter eine Stunde mehr arbeiten soll oder ob die Ladenöffnungszeiten um eine Stunde verlängert werden. Es geht darum ob wir überhaupt noch Läden oder Mitarbeiter brauchen, um das mal etwas drastisch zu formulieren. Demzufolge wird es auch schwierig sich vergangene oder gegenwärtige Modell anzusehen und versuchen daraus zu lernen. Die Frage sollte eher sein, was brauchen wir künftig und wie realisieren wir das (ohne auf alte Modell zu sehen und damit vielleicht schon Lösungen im Kopf zu haben). Deshalb gelingt das in der Regel auch eher Menschen die nicht schon von alten Konstruktionen voreingenommen sind (weil wir ja wissen, dass der Mensch in der Regel eher Träge und gegen Veränderungen ist).

Sehen wir uns aktuelle Beispiele an:

Facebook, Google & Co. sind nicht das Ergebnis eines überarbeiteten Business Modells, sondern völlig neu geschaffen worden. Management, Unternehmenskultur und Organisationsform wurden von Anfang an so konzipiert.

Auf der anderen Seite ein Beispiel aus dem Handel: Die Warenhäuser waren vor Jahren das Non plus Ultra im Handel und oft Marktführer in bestimmten Sortimentsbereichen. Was haben die aus den bisherigen Veränderungen gelernt? Standorte Zusammenlegen, Sortimente überarbeiten, Einsparungen erzielen….und was hat das genutzt? Wie sind die auf Arbeiten 4.0 vorbereitet? Sie haben inzwischen einen Onlineshop, höre ich da oft von Händlern! Wird das helfen?

Das soll nicht heißen, dass man ein Unternehmen nicht an neue Bedingungen anpassen kann, aber es muss glasklar sein, dass das zum Teil mit fundamentalen Veränderungen verbunden ist. Da ist sehr viel Arbeit und Schweiß gefragt und der Ansatz muss ganzheitlich sein. Das liegt weder nur am Management noch nur an den Mitarbeitern oder dem Business Modell. Meist gehört das alles fundamental überarbeitet und zwar in Lichtgeschwindigkeit, weil sonst die Alternative droht - die Pleite.

Provokat?

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