Obacht! Managen und Führen brauchen Revision

System Management

Von Walter Braun

Alles ist kontrollierbar! Der Jubelschrei eines Kennzahlen beseelten Managers einerseits. Der Schreckensjapser eines vernetzt denkenden Problemlösers andererseits.

Kontrollbewusstsein regiert seit Urbeginn die von Menschen geprägten Organisationen. Ob Schule, Verein, Betrieb, Verband oder Konzern, ist einerlei, meist dominiert das Prinzip der Kontrolle, der individuellen Verantwortung und des Ursache-Wirkungs-Handelns. Aufgaben werden in kleinste Tätigkeiten zerlegt, Mitarbeiter in überschaubare Gruppen zugeordnet und nach ihren individuell erbrachten Arbeitsleistungen beurteilt, Prozesse nach Effizienzkriterien gestaltet und Projekte in klar definierte kritische Pfade gezwängt. Fächer in Schulen und Hochschulen sind klar von einander abgegrenzt. Funktionen im Betrieb in Organigramme gegossen. Spezialisten geschätzte Innovationstreiber. Small ist beautiful!

Obacht ruft an dieser Stelle der ganzheitlich handelnde Manager. Ergebnisse werden von Gruppen erbracht, schwierige Situationen durch Mut zum Risiko zum Guten gewendet, Innovationen entstehen im Zusammenspiel von Entwicklern und Marketern. Boni korrumpieren die Motivation und Widerstandskraft von Leistungsträgern. Der Organisationsgrad korreliert negativ mit der Flexibilität, Reaktions- und Gestaltungsfähigkeit eines Betriebes. Spezialisten unterdrücken die Schwarmintelligenz und den Zusammenhalt einer Gruppe. Belohnungssysteme durchweben Organisationen und geben dem Affen Zucker. Die Great-Man-Ideologie kürt mit olympischem Ehrgeiz den Einzelkämpfer als Ideal. Höher, Schneller, Weiter im Zeitalter der Egomanen im Management sind die Treibergesellen in modern gekleideten Businessfossilen.

Und hierin liegen möglicherweise die Gründe im Versagen der Verantwortlichen im Umgang mit Komplexität. Wer Märkte verstehen will, muss sie aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Wer Unternehmen erfolgreich im Markt halten möchte, muss sich von festen Riten und Reglementierungen lösen, weil sich Kontext und Inhalte heute rascher ändern als es die Prozesse und Regeln vorsehen. Wer mit Menschen Krisen bewältigen oder Erfolg haben möchte, sollte Hierarchiedenken aufgeben und Verantwortung delegieren.

Fokussieren auf das Individuum erhöht zwar die Kontrollmöglichkeit und Sanktionierbarkeit, Wertschöpfung erfolgt aber durch ein zwangbefreites Zusammenspiel von Teams und Abteilungen.

Je komplexer Situationen sind, um so erforderlicher wird das Verlagern von Entscheidungen und Gestaltungsräumen in Teams. In Teams, in denen unterschiedliches Wissen gebündelt wird. In Teams, die sich im Sinne sozialer Kontrolle selbst kontrollieren. In Teams, die aus der Sicht auch der jeweils Anderen Problemverständnis entwickeln. Und schließlich in Teams, die sich selbst organisieren und daher von jedem ein hohes Maß an Selbstführung abverlangen.

Das starre Korsett der Regulierung wird ersetzt durch eigenverantwortliches Handeln vor dem Hintergrund übergeordneter Ziele und Ergebnisse. Dazu sind die alten Denkmuster und Kontrollkonzepte über Bord zu werfen. Mut zum Risiko und Regelbruch ist dafür die Voraussetzung. Insbesondere dann, wenn Komplexität vorherrscht – Standardsituationen wie sie etwa bei Routineaufgaben in der Fertigung, im Lager etc. auftreten, bleiben ausgenommen.

Wer immer nach alternativen Arbeitsformen sucht, sollte Taylor und Führungsideologien in Frage stellen und sich Kants Maxime „Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, bemächtigen.

Widersprechen wir doch endlich dem Dogma der Change Fanatiker, wonach sich Veränderungen nur bewerkstelligen lassen, wenn sich der Einzelne verändert. Nein! Der Kontext des Einzelnen muss verändert werden, damit er sich in seinen Fähigkeiten entfalten kann.. Widersprechen wir auch ruhig dem Dogma „Alles ist komplex“. Vielleicht erkennen wir dann die eigenen Denkfehler und können sie gegebenenfalls korrigieren.

 

Kommentare

Entschuldigung! Das klingt doch arg theoretisch. Regeln und Strukturen haben sich doch deswegen verfestigt, weil sie offenbar unterm Strich sinnvoll sind. Außerdem, wer möchte das Risiko des Scheiterns wie es immer besteht, wenn man nicht weiß, was das Neue mit sich bringt, eingehen?

Vielen Dank, sehr geehrter Herr Vogel, für Ihre kritischen Anmerkungen.

Sicherlich gibt es für Standardsituationen keinenGrund, bewährte Regeln aufzugeben. Meine Überlegungen beziehen sich aber auf die immer häufiger auftretenden und meist komplexen Situationen, zu deren Bewältigung die alten und vertrauten Vorgehensweisen nicht hilfreich sind. Mehr vom Gleichen ist i.d.R. nur die Fortschreibung von aktionistisch verkleideter Alternativlosigkeit. Schon Lichtenberg wusste: "Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll." Es ist auch richtig, dass jeder Regelbrecher Mut zum Risiko braucht. Ohne mutige Personen gäbe es aber auch keine Innovationen. Führungskräfte sollten m.E. in erster Linie daher ihr "Strickmuster" reflektieren und darin unterstützt werden, es bei Bedarf zu verändern.

Ihr

Walter Braun

Wer hilft aber "revisionswilligen" Führungskräften, wenn die Oberen da eher taub sind?
Bei einem Pausengespräch am Montag meinte ein Kollege, nur die Chefs können das
ermöglichen. Was kann ich tun?

Hallo Uwe,

eine Veränderung der Führungsstruktur ist immer anlassbezogen (hohe Krankenstände, Unzufriedenheit, geringe Produktivität etc.). Daher geht es weniger um eine Revision der Revision wegen, sondern immer um eine gelingende Kommunikation und Erörterung von problemlösenden Optionen. Bestehende Instrumente wie etwa Qualitätszirkel, Zukunftwerkstätten oder auch schlichte Wochenbesprechungen können mit einer entsprechenden Agenda zur Veränderung von Strukturen, Kulturen oder Verhaltensweisen eingesetzt werden. Zur Veränderung gehört aber auch, dass sie von meinungsbildenden und von Hierarchen wie Mitarbeitern akzeptierten Menschen gestaltet bzw. eingeleitet werden. Wesentlich scheint mir auch, wenigstens einen mächtigen Fürsprecher aus dem obersten Management zu haben, der ein solches Projekt mit formaler Macht auch gegen Widerstände begleitet.

Lieber also im Vorfeld Zeit zur Bedarfskärung, Projektdefinition und Umsetzungsstrategie investieren als schnell zu beginnen und noch schneller das Projekt zu beerdigen.

Ihr

Walter

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