Von Walter Braun
Die deutschen Autobauer können ein Lied davon singen, wie schnell sie von technologischen Entwicklungssprüngen wie etwa der Digitalisierung heimgesucht und durchgerüttelt werden. Und hier offenbart sich für alle Branchen das Problem: Starke Unternehmenskulturen und Unternehmenskolosse tun sich mit disruptiven Anforderungen außerordentlich schwer, weil deren Selbstverständnis aus der Macht über Jahre etablierter Erfolgsgeschichten entstanden und daher immun gegenüber Richtungswechsel ist. Hartnäckig hält sich die (implizite) Überzeugung: Never change a winning enterprise“. Man ist ja schließlich auf der Erfolgsspur und das wird auch so bleiben. Die Kontrollillusion wird so um die „Truthahn-Illusion“ erweitert bis eben das bittere Erwachen desselben in der Backröhre am Thanksgiving-Day zeigt, dass Selbstgewissheit tödlich sein kann.
Neues ist der Feind des Alten
Kultur und Prozesse sind in traditionsbewussten und erfolgreichen Unternehmen dermaßen in Fleisch und Blut der Mitarbeiter engrammiert, dass es auch nicht genügt, von der Top-Ebene einen revolutionären Change auszurufen, um den Anschluss an die Zukunftsmärkte nicht zu verlieren - man darf in diesem Zusammenhang gespannt sein, wie etwa die Volkswagen AG die Kurve kriegt und in kurzer Zeit die ausgerufenen Mobilitätskompetenzen aufzubauen und in ein erfolgreiches Modell umzusetzen in der Lage sein wird. Warum sich Kultur- und Strukturkolosse schwer tun mit radikaler Veränderung, hat eben damit zu tun, dass vom Arbeiter bis zum Manager alle komplett umdenken müssen. Waren bisher budgetdefinierte Prozesse, Zuständigkeiten etc. handlungs- und entscheidungsbestimmend, müssen plötzlich Eigenständigkeit, Nichtwissen, Improvisation, Experimentieren, Risiko etc. gestemmt werden. Wer darauf nicht mental und emotional vorbereitet ist, hat erhebliche Probleme, sich auf neue Strukturen und Geschäftsmodelle einzustellen und den Anschluss nicht zu verlieren. Wenn keine Blaupausen vorhanden sind, bleiben Gewissheit und Kontrollbedürfnis auf der Strecke bzw. werden zur beruhigenden Illusion. Um diese aufrecht halten zu können, handelt Mensch in neuen Situationen so wie in vertrauten. Echte Innovationen sind daher nicht zu erwarten.
Geistig und strategisch flexibel werden
Kodak, Mannesmann, Nokia sind die prominenten Beispiele für misslungene Transformationen. Fuji-Film, CEWE, Otto Group die positiven. Sicherlich sind immer eine Menge von vielen und sich gegenseitig beeinflussenden Ursachen die Weichensteller für die Zukunft. Im Kern aber hinderte die selbstgewisse Trägheit und Erfolgsgewohnheit die Überlebensfähigkeit und im anderen Fall gewährleisten flexible Arbeitsstrukturen und veränderungsbereite Grundhaltungen und Mindsets der Menschen die Umstellung auf die digital-formatierten Geschäftsmodelle und letztendlich auch eine erfolgreiche, proaktive Marktgestaltung. Und hier scheint ein wichtiges und möglicherweise weit unterschätztes Erfolgsmoment zu liegen: Die geistige Flexibilität und innere Bereitschaft zur Transformation. Dass agile Start-ups, bedeutungsgepolsterten Fossilen in Sachen kreativer Geschäftsmodelle den Rang ablaufen, sieht man an Uber, Airbnb oder Tesla.
Die Gründer und Mitarbeiter durchbrechen mit Lust Konventionen, bevorzugen eine begrenzte Instabilität ihrer Ideen, experimentieren bis sie etwas Brauchbares entdecken und wollen Erfolg. Mit formalen Korsettstangen gelingt das kaum. Freiraum zum Improvisieren und Ermutigung zum Risiko sind die Transmissionsriemen des Fortschritts. Kollaborative Strukturen ersetzen das Zuständigkeitsdenken. Vorgesetzte verlassen ihre machtvolle Direktivrolle und übernehmen die eines Promotors und Unterstützers.
Die Wucht der Organigrammmentalität vorführen
Das Kreuz mit der Transformationsbremse in den Köpfen der Leute liegt ja kaum an mangelnden Ideen oder geringer Kapitalkraft, sondern an einer verstaubten, inflexiblen und fest sozialisierten Organigramm-Mentalität. Die nämlich hält junge Talente fern und bindet Traditionalisten und Bewahrer. Innovationen lassen sich so nicht realisieren. Es gelingt maximal ein Mehr vom Gleichen. Gefordert sind Bereitschaft zum Experimentieren, Gelenkten Muddling Through, Vernetzten Handeln und Ersetzen von langfristigem mit kurzfristigem Planen der Aktivitäten. Dazu müssen aber die Gewohnheitsschalter im Kopf aller umgelegt werden. Und das ist ein langer Weg. Ein Weg der damit beginnt, der Command & Control – Kultur abzuschwören, Regeln zu reduzieren und Querdenken zu belohnen. Ein Weg, der mutige, initiative und verantwortlich handelnde Menschen erfordert. Und ein Weg, dessen Ende man nicht einmal kennt. Bei soviel Unsicherheit bleibt der Traditionalist doch lieber beim Alten. Die Kultur der Besitzstandswahrung wird gehegt und gepflegt. Dieser Knoten erdrosselt Zukunftsfähigkeit und muss kulturell durchschlagen werden.
Denkhaltungen mit Kulturarbeit verändern
Aufmeißeln lässt sich die Transformationsblockade mit beharrlicher Kulturarbeit. Etwa mit:
Starke Kulturen brauchen eine arbeitsimmanente Revision durch flexibles Denken und dessen Verortung in der innerbetrieblichen Kompetenzentwicklung. Deren Ansätze liegen jenseits von Seminarkatalogen und entstehen kollaborativ zwischen Funktionen und interaktiv zwischen den verschiedenen Know How-Trägern.
Eine interessante Anforderung für neue und agile Fromate der Personal- und Unternehmensentwicklung.
Kommentare
Mark Korbulik
3. Juli 2016 - 10:24
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Veränderungsbereitschaft
Nicht allein die Kultur entscheidet über die Innovationskraft, sondern auch die Innere Bereitschaft, sich neuen Anforderungen zu stellen.
S. Krähwinkel
5. Juli 2016 - 14:58
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Hierarchie bremst
Hierarchiedenken sozialisiert die Mitarbeiter zu Befehlsempfängern, die zwar auf hohem Niveau aber nur in vorgegebenen Bahnen ihrer Arbeit nachgehen. Sie sagen es ja selbst an anderer Stelle: "Neues ist der Feind des Alten und muss bekämpft werden." That's the reason why...
M. Keller
6. Juli 2016 - 11:46
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ZDF sind die Totengräber
Wer Zahlen, Daten und Fakten anhängt, meint auch, dass alles steuer- und regelbar ist, insbesondere Menschen. Eine Kultur, die aus solcher Mentalität entstanden ist, verliert automatisch Ihre Zukunftsföhigkeit, wenn das "System" von außen erschüttert wird. ZDF sind zwar sehr beliebt und durchausvauch nützlich, in Umbruchsituationen aber eher die Totenträger der Innovationskraft.
G. Kaufmann
13. Juli 2016 - 10:13
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Culture follows People
Von jeher ist der Faktor Mensch ein erfolgsbestimmendes Merkmal im Unternehmen. Er verursacht Kultur und verändert sie auch wieder. Am Mensch ist also anzusetzen, wenn Veränderungen zu bewältigen sind. Culture follows People!
Güntres Nirgen
13. Juli 2016 - 14:09
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Alles hat seine Zeit
Alles hat seine Zeit! Auch Geschäftsmodellen wohnt der Niedergang inne. Wichtig: Erkennen, wann es zu Ende geht. Dabei machen Verantwortliche die meisten Fehler, weil sie am Bestehenden festhalten. Die Gründe, die Sie anführen, überzeugen mich. Danke!
Werner Seifert
13. Juli 2016 - 15:15
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Alter Wein in neuen Schläuchen
Kultur hin, Veränderungen her. Es ist wie schon immer: Rationalisieren und Innovieren sind Pflichten seit es Unternehmen gibt. Der Hype um Digitalisierung, Disruption, Arbeit 4.0 und was sonst noch alles zur versionsnummerierten Herausforderung verkommt, ist alter Wein in neuen Schläuchen. Smartworking bedeutet Rationalisieren und Disruption kreatives Zerschlagen - das praktizierte man schon immer. Schumpeter und Kondratieff lieferten vor Jahrzehnten den theoretischen Überbau dafür. Also: Durchatmen und gelassen bleiben.
Bertram Moldenhauer
13. Juli 2016 - 16:28
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Individuelle Förderung
Ich genieße gerade die Nachmittagssonne in Södertälje und genauso Ihr Blog. Wenn wir als Manager von unsren Mitarbeitern Leistung möchten, müssen wir Ihnen Vertrauen schenken und sie befähigen, ihre Ressourcen zu nutzen. Dazu gehören nachhaltige und anlassbezogene Förderung und individuelle Handlungsspielräume. Was m.E. noch dazu kommen muss, sind Teilhabe am Unternehmensergebnis und an Entscheidungen. So bewältigen wir seit Jahren übrigens auch das Problem der Mitarbeiterbindung.
Arne Grieshammer
14. Juli 2016 - 11:08
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Kultur und Individuum als Treiber
In einer zunehmend vernetzten Welt, in der das Kollektiv der Akteure den Takt bestimmt, ist es geradezu eine Illusion, von einfachen Wirkzusammenhängen zwischen Organisationsstrukturen und Erfolg auszugehen. Kultur und Individuum sind die Innovationstreiber. Peter Senge, Nicklas Luhmann oder Diedrich Dörner haben unter der systhemtheoretischen Brille eindringlich dargelegt, dass Wenn-Dann-Schablonen untauglich sind. Wechselwirkungen bestimmen die vernetzte Arbeitswelt und deren Kultur. Wenn die im Dogma verharrt, sind Nahtoderlebnisse unausweichlich.
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