Neue Arbeitswelt: "Personaler, könnt Ihr das?"

System Management

Von Walter Braun

Ständige Verfügbarkeit, immer leistungsfähigere IT-Systeme, Crowdworking, flexible Arbeitsstrukturen, zunehmende Automatisierung und Digitalisierung belegen eindringlich: Lebens- und Arbeitsbedingungen haben und werden sich deutlich verändern. Darauf müssen Antworten gefunden werden. Kein Grund, hysterisch, aber einer, besonnen zu reagieren. Und die berechtigte Frage eines Zuhörers an das Expertenpanel eines Personalerfrühstücks: „Personaler, könnt Ihr das?“

 

Alles wandelt sich – schon immer, nur heute etwas schneller

 

Berechenbarkeit, Orientierung, Vertrautheit, Verlässlichkeit verlieren zugunsten von Flexibilität, Komplexität, Unbestimmtheit und Veränderlichkeit ihre Werte gebende und motivierende Funktion. Wer gestern noch seine Kontrollbedürfnisse in organigrammgegossenen Strukturen zufriedenstellen konnte, muss heute mit instabilen Situationen zurecht kommen. Wer gestern seine Führungsrolle strukturell begründet erlebte, muss sie heute aus interaktiven und kollaborativen Arbeitsverhältnissen heraus verstehen können. Wer gestern noch entlang von Vorgaben und klar definierten Berechtigungen arbeitete, organisiert weitestgehend selbstinitiativ sich, seine Arbeit und deren Kontext. Wer gestern seine Lebensplanung entlang temporär stabiler Beschäftigung gestalten konnte, flexibilisiert und vernetzt heute seine Lebensdomänen.

 

Entgrenzte Arbeit ist Alltag und unumkehrbar. Das führt einerseits zu Chancen und andererseits zu Risiken. Zu einem selbstbestimmten und eigenverantworteten Arbeiten einerseits. Andererseits aber auch zu einem überfordernden, ex- und intensivierenden Arbeitsleben, in dessen Folge die individuellen Lebensdomänen aus der Balance geraten. Seelische und psychosomatische Beanspruchungen begründen dann entgrenzungstypische Störungen des allgemeinen und beruflichen Befindens. Insbesondere dann, wenn keine anforderungsadäquaten Bewältigungsstrategien vorhanden sind respektive aufgebaut werden. Denn, ob neue Arbeitsanforderungen bereichernd oder stressend erlebt werden, wird maßgeblich von der erlebten Kompetenz und der Überzeugung bestimmt, etwas bewirken zu können. Sozialverträgliche Arbeitsbedingungen, arbeitsimmanente Qualifizierung und persönlichkeitsstärkende Angebote können den Aufbau von Selbstwirksamkeit unterstützen und Belastungen reduzieren.

 

Darauf müssen Unternehmen und Personalverantwortliche hinarbeiten und gestaltend auf die Personalentwicklung einwirken. Angesichts der zunehmend steigenden Anzahl von psychischen Belastungsanzeigen und Erkrankungen gibt es aber offenbar noch Nachholbedarf. Oft sind Personalverantwortliche selbst eher Opfer als Täter. Sechs von zehn Menschen suchen diesbezüglich  Unterstützung, so unsere jüngste Auswertung einer nichtrepräsentativen Analyse von Coachinggründen.

 

Bitte nicht gleich in Lösungen denken - zumindest nicht in schwierigen Situationen

 

Vor dem Handeln erfolgt das Denken! Sollte man zumindest meinen. Oft aber ist es umgekehrt: Auf Veränderungsrufe rennen wir gerne lösungsgetrieben los und zünden ein Feuerwerk von Ideen. Nur: Die nachhaltige Basis für die vermeintlichen Lösungen fehlt. Sie sind ein Potpourri von Impulsen ohne tiefgehende Analyse oder gar Vernetzung von verschiedenen Sichtweisen und Kontexten. Man bleibt bei dem, was man in ähnlichen Fällen schon immer machte, stürzt sich auf Zahlen, Daten, Fakten und ist mit einer einigermaßen plausiblen Lösung zufrieden. Zielführender wäre jedoch, erst präzise Fragestellungen zu definieren und aus verschiedenen Blickwinkel relevante Aspekte des Problems, Optionen und Szenarien zu definieren und dann erst die Umsetzung anzugehen. Dies wiederum erfordert eine systemisch geprägte Kultur des Denkens und Handelns. „Alles ist machbar“ oder „Jedes Problem hat eine Ursache“ und was einen operativen Helden des Alltags sonst so kennzeichnet, sind dazu eher hinderliche Überzeugungen. Mutige und experimentierfreudige Menschen stemmen das schon besser. Menschen, die begrenzte Instabilität aushalten und andere zu neuen Wegen ermutigen. Um- und Querdenken sind aber wie seltene Erden: in überschaubaren Umfängen vorhanden und ziemlich mühsam freizulegen.

 

Neue Denkräume für Personaler

 

Will man den veränderten Anforderungen der Wirtschaft gerecht werden, sind zwar Leitlinien für den Umgang mit wechselhaften, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Situation notwendig, aber nicht hinreichend. Erst wenn die Vielfalt der menschlichen Faktoren und deren vernetzte Wirkung in der Arbeitssituation berücksichtigt werden, können zielrelevante Arbeitsaufträge für die Personalarbeit abgeleitet werden. Painpoints wie etwa:

 

  • Rollenkonflikte in den Schlüssel- und Lebensbereichen frühzeitig erkennen und steuern.

 

  • Erreichbarkeitsnormen und erweiterte Handlungsspielräume konkurrieren mit Command- & Control-Ideologien und sind dennoch als Strukturelemente in die Arbeit zu integrieren.

 

  • Die individuellen Ressourcen eines Menschen transparent werden lassen und ihn zum selbstbestimmten Verhalten befähigen.

 

  • Fähigkeiten, mit unsicheren und komplexen Situationen umzugehen, mit systemischen Trainingsinhalten entwickeln.

 

„Zusammengefasst...“

 

Beim erwähnten Personalerfrühstück verabschiedete der Hausherr die Runde mit „zusammengefasst führt eine komplexitätsgerechte Personalentwicklung zur Auflösung von kataloggeprägter Qualifizierung und hin zur lernenden Organisation... und ob wir das können - ich glaube schon, nicht aber alleine.“

 

 

 

 

Kommentare

Ihre "Denkräume" setzen ein anderes Verständnis voraus als das eines dienstleistenden Stabes, der seine Berechtigung aus einem Verwaltungsauftrag ableitet. Ich glaube nicht, dass der "Personaler" darauf vorbereitet ist. Er braucht die Unterstützung der Gf und Linienkompetenz bzw. Verantwortung für die Transformation der Arbeitskultur.

Es wird ja nie so neu sein, dass wir an Nichtwissen scheitern würden. Insofern möchte ich die Frage anders stellen: Geschäftsführung, sind Sie bereit, unseren Ideen und Konzepten für die personale Zukunft bei uns zu folgen?

Entgrenzung und Veränderung der Arbeit sind genau die Herausforderungen, denen wir Personaler etwas hilflos gegenüberstehen. Mitarbeiter, die gern im Home Office arbeiten entziehen sich der direkten Kontrolle durch den Vorgesetzten. Dieser kommt mit dem Kontrollverlust nicht klar, fordert von uns Abhilfe, die wir nicht leisten können, wodurch wir an Reputation verlieren,... . Es ist ein Teufelskreis, der daraus entsteht, dass wir sofort nach der Lösung eines Problems suchen und nicht merken, dass sich damit zig andere ergeben. Wir müssen aufhören, in den Lösungen von früheren Zeiten zu denken und dazu übergehen, Zusammenhänge herauszuarbeiten und daraufhin die Personalarbeit zu gestalten. Das geht nur gemeinsam und mit Hilfe von Verhaltensexperten. Nur traut sich letzteres keiner zu sagen, weil,er ja selbst einer sein will.

In stürmischen Zeiten ist ruhig bleiben eine wichtige Eigenschaft. Gerade Personalexperten sollten daher den digitalen Herausforderungen besonnen begegnen. Nicht mit stoischer Gleichgültigkeit, aber auch nicht mit Hektik und vorauseilendem Erfüllungsgehorsam eines ansonsten funktionierenden Stabes. Wer reflektieren und gegen den Mainstream argumentieren kann, kann die Gemengelage einer gewandelten Arbeitswelt meistern. Verwalter eher nicht!

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