Die Mär vom Fachkräftemangel

System Management

Von Walter Braun

Unser letztes Unternehmertreffen stand unter der Frage, „Wo ist die Fachkraft?“ Medien und politisch interessierte Gruppierungen werden nicht müde, den demographiebezogenen Fachkräfteengpass zu proklamieren und das Ende der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Mittelstandes auszurufen.

Doch gibt es überhaupt einen Fachkräftemangel oder suchen Unternehmen nur an der falschen Stelle die richtigen Leute? Solche und andere Fragen wurden in unserer letzten Abendrunde als Abschluss des Recruitingthemas heftig debattiert. Offenbar haben ja attraktive Konzerne nicht wirklich Fachkräftemangel, wenn man deren Verlautbarungen und Pressenotizen vertraut. Also muss es sie ja geben!

„Möglicherweise richten wir unsere Suche auf den freien Arbeitsmarkt aus und vernachlässigen das Ansprechen von potenziellen Bewerbern, die noch in einem Anstellungsverhältnis sind“, meinte ein Jungunternehmer. Ein anderer ergänzte: „Warum sollen auch tüchtige Fachleute zu uns Kleinen kommen, wenn ein Vielfaches an Gehalt und Anreizen bei Großunternehmen geboten werden“. Es ergab sich eine interessante Debatte, an deren Ende einige handfeste Ergebnisse standen:

  • Falsche Annahmen

Man geht davon aus, dass man Stellen besetzt mit frei verfügbaren Arbeitnehmern. Mit Spezialisten ist der Arbeitsmarkt allerdings dünn besetzt, denn Fachkräfte und Leistungsträger werden in Unternehmen mit attraktiven Tätigkeiten und Angeboten gehalten. Wenn man diese erreichen will, muss man sich deutlich abheben in der Attraktivität, den Perspektiven und Arbeitsbedingungen. Das Potenzial der beschäftigten Fachkräfte ist riesengroß, sie müssen aber gelockt werden.

  • Allgemein gehaltene Beschreibung der Stelle und ihrer Anforderungen

Häufig sind Standardfloskeln wie „teamorientiert“, „mehrjährige Leitungserfahrung“, „Auslandserfahrung“ etc. die Stichworte zur Charakterisierung der Stelle. Dies ist eindeutig nichtssagend und ruft keinen schlafenden Hund hinter dem Ofen hervor. Konkreter und anregender wirken etwa „maximale Handlungsspielräume mit einem eigenverantwortlichen Budget in Höhe von ...“ oder „Vertrauensarbeitszeit, da uns Ergebnisse und nicht Formalien wichtig sind“ etc. Je konkreter solche Beschreibungen sind, umso enger grenzt man zwar die Zielgruppe der infrage kommenden Bewerber ein, spricht aber genau die an, die man möchte.

  • Ungenügende Vorstellung und Kenntnis über die Zielgruppen

Jemand, der im Job ist, hat andere Ansprüche zu wechseln, als ein bereits freigesetzter Mensch. Junge Leute sind offener Veränderungen gegenüber als ältere, die wiederum legen mehr Wert auf Arbeitsplatzsicherheit.

  • Leipziger Allerlei bei der Unternehmensdarstellung

Wer sich als attraktiver Arbeitgeber darstellen will, sollte glaubwürdig und motivierend seine Alleinstellungsmerkmale, Innovationskraft, Besonderheiten etc. darlegen ohne als Marktschreier rüberzukommen. Es wirkt für Wechselwillige oder auch wechselneutrale Bewerber anregender in einem „niederbergischen Unternehmen mit weltweiten Absatzmärkten und einem „mehrfach ausgezeichneten Innovationssieger im Produktbereich“ zu arbeiten als bei einem „gut positionierten Traditionsbetrieb“.

  • Undifferenzierte Suchstrategien

Im Gießkannenformat werden Stellenanzeigen in Zeitungen, Portalen etc. geschaltet und wenig darauf geachtet, dass etwa soziale Netzwerke für Berufstätige wie XING, Linkedin bestimmte Berufsgruppen bevorzugt wahrnehmen. Studenten eher über Facebook, Social Media-Portale erreichbar sind. Akademiker in großen Wochenzeitungen regelmäßig Recherchen durchführen etc.

Einer der beteiligten Unternehmer meinte, solange wir unsere Mitarbeiter immer so nebenbei suchen, unsere Fantasie nicht bemühen und auch professionelle Hilfe verweigern, werden wir immer die gleichen Ergebnisse haben: Kaum Bewerber und den Erstbesten festhalten. Personalarbeit ist in der heutigen Arbeitsmarktsituation also nicht nur vor dem Hintergrund demographiebezogener Effekte ein zukunftssichernder Aspekt der Unternehmensentwicklung und gehört professionell betrieben.

Kommentare

Wir sind mit unserem Unternehmen in einem Kooperationsnetzwerk mit Lehrstühlen der Automatisierungstechnik und des Maschinenbaus. Oftmals entstehen aus gemeinsamen Projekten befristete Arbeitsverhältnisse und daraus fast immer dauerhafte. Fachkräftemangel kennen wir nicht.

Es ist sicherlich für den einen oder anderen Betrieb an der Zeit, seine Mitarbeitersuche zu überdenken, aber was sollen kleine Betriebe in strukturarmen Gebieten denn machen, wenn die Jungen nicht mehr da und die Alten kaum bereit sind, eine neue Stelle zu suchen, wenn sie sich wohl fühlen, da wo sie sind? Es gibt zu wenig Nachfrage nach Stellen auf dem Land und kaum mehr junge Leute da!

Hallo Herr Vogel,
vielen Dank wieder für Ihre Anmerkungen. Es geht genau um die von Ihnen genannten Nachfragen, die halt leider nicht von alleine kommen, sondern angestoßen werden müssen - neuerdings spricht sogar die Politik von "Nudges" Schubsern also, die die Menschen bewegen etwas zu tun. Wer als Arbeitgeber sein regionales Image kontinuierlich und öffentlichkeitswirksam aufbaut etwa mit Pressearbeit, Mitarbeiterempfehlungen, Förderprogrammen, Work-Life-Balance-Angeboten, Netzwerkveranstaltungen etc., wird leichter von potenziellen Mitarbeitern wahrgenommen als andere. Auch die Art der Bewerberansprache in erkennbarer Wertschätzung wirkt sich positiv qaus. Gerade in statischen Arbeitsmärkten lohnt sich ein langfristig angelegtes Personalmarketing. Den Schlüssel für eine Soforthilfe bei einer strategische Krise wie sie ja das Personalproblem darstellt gibt es leider nicht.

Beste Grüße an Sie und ein weiterhin kritisches Bewusstsein
Walter Braun

Die Demografiefalle steht außer Frage. Also wird es auch weniger junge als alte Mitarbeiter geben. Umso mehr muss ich mir als Personalerin überlegen, wie ich die GF von attraktivitätssteigernden Personalkonzepten überzeuge. Da fehlt es nicht an Ideen. Mehr an der Bereitschaft, einen Kulturwandel einzuleiten, weil ja die dafür neuen Ideenträger fehlen und die Riege der Verantwortlichen mit dem neuen "Kulturkram" nichts anzufangen wissen. Ein mühsamer Prozess, der nur schrittweise mit viel Geduld und noch mehr Fallbeispielen gestaltet werden kann.

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