Das intuitive Dilemma der Mitarbeiterauswahl

System Management

Von Walter Braun

Über die Grenzen einer erfahrungsbasierten, intuitiven Personalauswahl und –förderung.

„Es ist kaum zu bezweifeln, dass fachlich und persönlich geeignete Mitarbeiter zum Erfolg eines Unternehmens maßgeblich beitragen.“ So lautet die rasche Übereinkunft einer gestern Abend moderierten Unternehmerdebatte. Im Fortgang der Diskussion entzündete sich der Diskurs allerdings an der Frage, ob man der Erfahrung und Intuition mehr folgen sollte oder einer eignungsdiagnostisch abgesicherten Urteilsfindung.

Mit der Intuition ist es ja so eine Sache: Sie entsteht aus der jahrelangen Erfahrung und ist auch Ausdruck innerer, meist unbewusster Überzeugungen, die wiederum die Wahrnehmung massiv lenken und diese schließlich den ersten Eindruck. Bekanntlich bewahrheitet sich dieser ausgesprochen oft. Aber auch deswegen, weil er implizit ein Wunschbild erzeugt und dessen Komponenten bevorzugt im Verhalten des Bewerbers erkennen lässt. Da wird dann ein klar ausgesprochener Satz schnell zu „analytisch“, „durchsetzungsstark“ und „kommunikativ“ interpretiert oder je nach Motivlage zu „arrogant“, „selbstbewusst“ oder „ichbezogen“.

Intuitives Handeln bringt eigentlich immer mehr vom Selben oder Alten zustande. Man wählt oder fördert die Mitarbeiter, die man auch sonst immer bevorzugt. Letztendlich hat man die Mitarbeiter, die man „verdient“. Im Guten wie im Schlechten. Hans züchtet Hänschen. Vielfalt kommt dabei nicht zustande. Und selbst wenn Hänschen nicht so ganz passt, verschließt man die Augen und hält sogar so lange an seiner Personalentscheidung fest, bis es zu gravierenden Fehlleistungen kommt, wie der Chef eines Ingenieurbüros bedauernd anmerkte, der kritische Mitarbeiterhinweise ignorierte und erst auf massive Kundenbeschwerden reagierte und sich schweren Herzens von „seinem Mann“ trennte.

So weit, so schlecht. Da andererseits Personalfragen eine komplexe Anforderung, eignungsdiagnostische Verfahren weitgehend unbekannt sind und selbst die relativ wenigen empirisch und wissenschaftlich als einwandfrei zertifizierten Tests keine 100 %-Sicherheit bringen, bleibt die Feststellung, „ich vertrau lieber meiner Erfahrung“, nachvollziehbar. Man könnte den Entscheidern daher nicht verübeln, wenn sie beim intuitiven Würfeln blieben, wenn nicht Effizienzschäden beträchtlichen Ausmaßes entstünden. Zahlenfreunde rechnen mit dem 1,5fachen eines Jahresgehalts als Kosten einer Fehlentscheidung. Es lohnt sich daher schon, mit hohem Qualitätsanspruch Mitarbeiter auszuwählen und sie professionell zu beurteilen.

Dazu können etwa beitragen:

—Anforderungen der Tätigkeit und daraus abgeleitete Personenmerkmale eindeutig benennen.

—Kenntnisse über die Prozesse der menschlichen Urteilbildung aneignen.

—Kriterien für empirisch und wissenschaftlich gesicherte Verfahren erfassen, verstehen und die im Markt verfügbaren Verfahren danach beurteilen.

—Die Vielzahl der Wald-Feld-Wiesenverfahren, die mehr Horoskopqualität haben als eignungsdiagnostisches Gewicht, schreddern.

—Diagnoseverfahren anforderungsbezogen beurteilen und anwenden, um „hinter die Stirn“ schauen zu können und die Wirkung der Imageoffensive des Bewerbers zu  entschärfen.

—Anforderungen diagnostisch in Interviewfragen übersetzen.

Der intuitiven Kraft eines erfahrenen Personalers gibt man damit immer noch genügend Raum, man zügelt aber ihre Fehleranfälligkeit durch strukturiertes und eignungsdiagnostisch abgesichertes Vorgehen.

Der Aufwand ist angesichts der Qualitätseffekte nicht einmal groß. Man sollte das Neue nur nicht als Feind des Alten sehen, um einen Anfang zu finden.

Kommentare

Der ganze Testzirkus ist doch nur Geschäftemacherei. Wir haben schon so einige ausprobiert und sind den Versprechungen der Verkäufer auf den Leim gegangen. Zuletzt einem Profil, das sogar im Profifußball eingesetzt wird. Die Auswahl der Mitarbeiter wird von der Verantwortung an einen Test gebunden anstatt an die Sorgfalt des Personalers. Welche Testverfahren sind denn "wissenschaftlich" geprüft und haben dennoch Praxisrelevanz?

Hallo Herr Eberspacher,

vielen Dank für Ihre Anmerkungen. Ich teile voll und ganz Ihre Ansicht, wonach der Peresonalentscheider seiner Verantwortung bewusst sein sollte und seine Entscheidung mit gutem Gewissen treffen muss. Dazu gehören Kenntnisse in den Verfahren der Personalauswahl, der menschlichen Urteilsbildung und ein Mindestmaß an Sicherheit im Umgang mit den verschiedenen Instrumenten der Personalauswahl. Es kommt auch nicht so sehr auf das Verfahren an sich an, sondern darauf, dass ein nachvollziehbares Anforderungsprofil der Stelle die Grundlage des Bewerberinterviews und der Auswahl der Tests darstellt. Wenn dann persönlichkeitsrelevante Verhaltensanforderungen mit Hilfe von Tests abgesichert werden sollen, weil damit durchaus auch verdeckt liegende Eigenschaften des Bewerbers sichtbar gemacht werden können, empfiehlt es sich, solche Verfahren auszuwählen, die diese Merkmale erfassen und nach DIN 33430 überprüft sind. Außerdem gehören der fachkundige Umgang mit den Ergebnissen und deren Interpretation dazu. Ggf. rechnet es sich dabei, fachpsychologische Hilfe hinzu zu ziehen. Auf unser hp finden Sie einige Rezensionen wirtschaftsrelevanter Testverfahren. Gern können Sie mich persönlich kontaktieren.

Ihr

Walter Braun

Seit viel Jähren trage ich Personalverantwortung. Bei wichtigen Personalentscheidungen frage ich mich kritisch, was an meiner Stelle mein Professor tun würde. So erhalte ich hin und wieder eine neue Sicht und kann meine Entscheidung damit anreichern. Psychotests setze ich gelegentlich zur Abklärung von Persönlichkeitsmerkmalen auch ein. Hauptsächlich das BIP und das Multi-Motiv-Gitter. Die Ergebnisse verwende ich aber nur zur Ergänzung meiner Erkenntnisse aus dem Bewerbergespräch und der Analyse der Bewerbermappe.

Meine Fachkräfte wähle ich nach ihrer beruflichen Expertise aus. Alle Führungspositionen werden aber im Hinblick auf fachliche und menschliche Anforderungen ausgeschrieben und besetzt. Im Bewerbergespräch lasse ich mich aber wohl doch noch zu stark von meinem Bauchgefühl steuern. Den Hinweis auf das Anforderungsprofil werde ich beim nächsten Fall berücksichtigen. Wo kann ich denn Tests beziehen und wie kann ich sie nutzen? Kann mir da jemand weiter helfen?

Ihr JV

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I think this is a real great blog post.Much thanks again.

Solange Hans sein Hänschen sucht und es nicht merkt, wird Intuition Verherendes anrichten, nämlich ein System Gleicheschalteter oder Vasallen. Weniger Fachliches und mehr Menschliches würde außerdem den Blick kritisch schärfen und Antwort geben auf Vorlieben beider Seiten.

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