Die Hexenküche der Personalarbeit brutzelt wieder

System Management

Von Walter Braun

Es ist nicht nur ein seit Langem gefühlter Konsens, sondern auch empirisch belegt, dass der Erfolg eines Menschen am Arbeitsplatz von seiner Fachlichkeit und seinen Persönlichkeitseigenschaften abhängt. Und unter persönlichen Eigenschaften versteht man harte Faktoren wie etwa kognitive Leistungsfähigkeiten ebenso wie sogenannte weiche wie etwa Durchsetzungsstärke, Teamfähigkeit etc. Auch, dass man die Anforderungen einer Stelle (etwa argumentationssicher) in Verbindung mit konkreten Tätigkeiten (etwa Verkaufsgespräche führen) ermittelt, ist Old School. Und doch will man es kaum glauben: Alle gesicherten Erkenntnisse bleiben auf der Strecke – selbst bei Leuten, die vom Fach sind.

 

Da gibt es den Ausbildungsleiter, der seinen potenziellen Auszubildenden Leitungs- und Persönlichkeitstests zumutet, aber nur nach der Güte der Ergebnisse der Leistungstests selektiert. Da gibt es den Personalchef, dem nach seinen Aussagen zehn Minuten genügen, um zu erkennen, ob ein Bewerber in Frage kommt. Da gibt es die Fachhochschulprofessorin für Personalwirtschaft, die meint, behaupten zu können, dass für eine leitende Position Intelligenz wichtiger sei als soziale Fähigkeiten. Nur noch einmal zur Erinnerung: Die konkreten Tätigkeiten und die daraus abgeleiteten Anforderungen definieren, auf was es bei einer Stelle ankommt und was ein Mitarbeiter können sollte! So kann es durchaus sein, dass ein schlauer und exakt schlussfolgernder Mensch kein Bein auf die Erde bringt, wenn er an der Meinung seiner Kollegen desinteressiert ist, wenig auf sie eingeht etc. Das Gleiche gilt auch umgekehrt.

Die so handeln und denken sind nun keine finsteren Manipulateure auf Egotrip, sondern eher unbewusste Opfer ihres Drangs nach Klarheit. Je lauter oder widersprüchlicher „neueste Erkenntnisse“ der Führung daherkommen, um so attraktiver werden einfache Gewissheiten. Vereinfachungen helfen ungemein, Nichtwissen zu reduzieren und handlungsfähig zu bleiben. Der Mensch an sich ist aber komplexer Natur und kann daher nicht abgrenzbaren Schubladen zugeordnet werden. Noch weniger kann er mit einfachen Erklärungsansätzen und einer Boulevardpsychologie in seiner Ganzheit erfasst werden.

Die Reduktion von Führungserfolg auf einfache Grundmuster gab es schon einmal in der Frühdiskussion der Eignungsdiagnostik der 1970iger Jahre, wo der Streit zwischen aufgaben- und mitarbeiterorientierten Führungsmodellen besonders tobte. Hier die Leistungseuphoriker. Dort die Sozialpuristen. Beide vereint im Bemühen, Erfolg zu erklären und doch gefesselt in ihren Dogmen. Erst spät in den 1990ern dämmerte den Pragmatikern auf den Beratungs-, Vorstands- und Forschungssessel, dass in einer volatilen Welt und Gesellschaft wohl auch der Einzeln mehr ist als die Summe seiner Teile. Es schien, als hätte man verstanden, dass der Mensch kein auf Kernmerkmale reduzierbares, mechanisches und eindimensionales Wesen ist, sondern eher ein amorphes und nur sehr schwer berechenbares. Der unselige Geist der Vereinfachung war wieder in der Flasche!

Es scheint nun aber, dass die einmal gerufenen Geister doch nicht weggesperrt sind und die Bataillone der Protagonisten wieder Stellung beziehen. Jüngstes Beispiel: Empathie. Die einen ziehen zig Studien hervor, wonach nachgewiesen wird, dass empathische Menschen glaubwürdiger, überzeugender und nachhaltiger andere Menschen führen können und klügere Entscheidungen treffen als solche, denen diese Fähigkeit fehlt. Die anderen Verfechter bemühen auch wiederum zig Studien, in denen Empathie zu Ineffizienz, Stillstand und Ungerechtigkeit ja sogar zu Korruption führt. Alle haben recht, aber nur in ihrer begrenzten Wirklichkeit ihres Untersuchungsdesigns. Es ist wie immer: Ein Zuviel ist genauso schädlich wie ein Zuwenig und Mittleres nur dann adäquat, wenn es überhaupt erforderlich ist.

Man sollte den Schaum vorm Mund abwischen und einfach prüfen, welche menschliche Fähigkeiten in welchem Ausmaß und warum wie notwendig sind. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!

 

 

Kommentare

Die Vielfalt von "Erkenntnissen" verwirrt nicht so sehr wie sie zur Reflektion anregt. Gerade widersprüchliche Aussagen regen das Denken an. Mich spornt die "Hexenküche" zum Ausmisten der Gewohnheiten an.

Was im Artikel als Hexenküche bezeichnet wird, ist in der Realität eine überforderte Abteilung, die von Feuerwehr- über Verwaltungs- bis Seelsorgeraufgaben alles zu erledigen hat, was sonst keiner im Betrieb machen will und es bei den "Personalern" los wird. Es überrascht mich nicht, dass die dann einfache Lösungen suchen bzw. ihnen zum Opfer fallen. In biblischer Treue handeln sie im Sinne "Der eine trage die Last des anderen". Ironiker meinen, damit schaffen sie erst ihre Daseinsberechtigung.

Ich bezweifle, dass mit Pschologischen Tests die Auswahl von Mitarbeitern professioneller gelingt als mit der gewachsenen Erfahrung der Personaler. Die Testfragen sind z.T. so wirklichkeitsfremd, dass deren Beantwortung völlig irrelevant ist. Die Alternative zum Kaffeesatzlesen liegt allein in der genauen Erfassung der Bewerberqualifikation und deren Bezug zu den Aufgaben.

Erfolgreich aufgestellte Personalabteilungen zeigen doch, dass sie das Auslaufmodell einer verwaltenden "Feuerwehr" längst überwunden haben. Sie gestalten den Transformationsprozess, indem sie die verschiedensten Beteiligten zusammenbringen und klären, welche Ziele eine Neubesetzung hat und welche Anforderungen daraus abzuleiten sind. Einzelne Aufgaben stehen dabei nicht mehr im Zentrum, da sie sich rasch ändern.

Hallo Herr Braun, wir kennen uns schon seit zu vielen Jahren, als dass ich nicht wüsste, dass sie differenziert Entwicklungen und Situationen betrachten. Aber die "Hexenküche", von der sie reden, ist nicht die Regel. Allenfalls die Ausnahme. Und ich glaube, das wissen Sie auch. In unserer Unternehmensgruppe wird wie in den allermeisten Betrieben eine ganzheitliche, an Anforderungen orientierte, moderne und empirisch begründete Personalarbeit geleistet - Sie tragen dazu ja selbst erheblich bei.
Den erwähnten Ausbildungsleiter würden wir für eine professionelle Eignungsdiagnostik sensibilisieren, den Personalchef konfrontativ coachen und der Beraterin die Tür weisen. Auch unser Topmanagement ermutigt uns, einfachen Antworten und verlockenden Werbsprüchen zu misstrauen. Dass immer mal wieder Autoren alten Wein in neue Schläuche füllen, nehme ich schon seit Langem nicht ernst, und dass Vereinfachungen Reflexe aus Überforderung sind, spornt mich nur zu verstärkter Diskussion an. Insbesondere mit denen, die vielleicht doch noch Hexenküchenmeister sind.
Vielen Dank jedenfalls für die Provokation.

Ja, lieber Herr Kosslik, firmenspezifisch betrachtet gibt es viele Beispiele vorbildlicher Personalarbeit. Gleichwohl finden immer wieder Tendenzen einer Versimplifizierung komplexer Personalthemen eine große Zuhörerschaft und daraus eine Akzeptanz zur praktischen Umsetzung der einfachen Rezepte. Dazu gesellen sich noch Sachbearbeiter und Manager, deren fachlichen Voraussetzungen eher lückenhaft sind, wenn sie nicht entsprechende Aus- oder Weiterbildungen absolvieren konnten. Die Neigung, Komplexität mit "Wahrheiten" zu reduzieren, ist psychologisch und  menschlich dann leicht nachzuvollziehen. Wenn dies dann noch von Akademikern mit Uralttheorien und persönlichen Vorlieben gestützt wird, stelle ich es im Diskurs einfach infrage.  Deswegen möchte ich das auf der dunklen Seite der Personalarbeit stehende Dilettieren an Beispielen provokativ aufzeigen. Es ist ja auch gelebte Realität. Und: Eine kontroverse Debatte zu den Praktiken in der Personalarbeit nutzt mehr als sie schadet. (Schön übrigens, wie sie mit den Fallbeispielen in Ihrem Unternehmen umgehen würden.)

Ich bleibe da weiter dran und freue mich auf so konstruktive wie anregende Impulse wie von Ihnen!

Ihr Walter Braun

Neuen Kommentar schreiben

(If you're a human, don't change the following field)
Your first name.
(If you're a human, don't change the following field)
Your first name.
(If you're a human, don't change the following field)
Your first name.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Internet- und E-Mail-Adressen werden automatisch umgewandelt.
  • HTML - Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.