Die heilsame Kraft des Negativen

System Management

Von Walter Braun

Ein Statement für das Verlustdenken oder warum drohende Verluste mehr pushen als verlockende Gewinne.

Die Weismacher und Best-off-Apostrophierten der Bildungsindustrie verehren unablässig die Monstranz des vermeintlich aufgeklärten Wissens mit der Inschrift: „Denk in Chancen, Stärken und Zielen. Nicht in Risiken oder gar Verlusten und Negativem, denn damit verlierst du Energie und erntest Frustration“. Die Ausrichtung an erstrebenswerten Zielen, ist das Gebot der Stunde. Begeistere andere mit verlockenden Aussichten und sie liegen dir zu Füßen! Glaub an dich, du schaffst es!

Da wir es immer wieder hören, droht es schon zur nicht mehr in Frage zu stellenden Gewissheit geworden zu sein. Und das genau hält die Positivapostel am Leben und einer kopiert den anderen

Dabei könnte es sich lohnen, einmal einfach auf die seriöse Empirie zu schauen. Denn das bringt Erstaunliches an den Tag:

—Keineswegs sind Menschen motivierter etwas zu tun, wenn danach etwas besser sein sollte. Im Gegenteil, sie folgen eher ihrem inneren Drängen, richtig Gas zu geben und    gar Risiken einzugehen, um etwaigen Verlusten vorzubeugen als Gewinne zu erzielen.

—Wenn wir etwas besitzen, sichern wir es mit größtem Engagement ab – Versicherungen leben ganz gut davon.

—Je mehr Arbeit wir in eine Sache investieren, umso stärker wird die Bereitschaft, weiter zu investieren, um das Erreichte nicht zu gefährden und zu erhalten. Sunk costs sind Legende in Entwicklungsprojekten.

Wenn wir diese Erkenntnisse von Wissenschaftlern wie etwa Nobelpreisträger Kahneman auf das Chancendiktat übertragen, heißt das doch: Vergiss dein Streben nach mehr. Risiken, Verlustängste und Bedrohungen spornen uns stärker an als alles andere, denn die Schmerzen über den Verlust sind größer als die Freude über den Gewinn. Es war schließlich mühsam genug, so weit zu kommen. Ein Verlust würde alle Bemühungen mit Füßen treten, unser Selbstwertgefühl verletzen und die psychische Harmonie stören. Gewinne hingegen lösen zwar Glückshormone aus, aber nur solange, wie sie uns wenig Anstrengung kosten.

Wer also sich oder andere zu etwas motivieren möchte, sollte Verlustgefühle aktivieren und darüber reden, was sonst verloren ginge, wenn etwas nicht geschähe. So werden Menetekel wie etwa

... nicht mehr auf der Höhe der Zeit sein

... Privilegien xy verlieren

... Lebensqualität einbüßen

... Budget verringert bekommen

... Status einbüßen etc.

Energie und Motivation mobilisieren – mehr als jede noch so verlockend formulierte Gewinnerwartung.

Welche der beiden nachstehenden Formulierungen sollte man wohl wählen, um Mitarbeiter für ein Projekt zu begeistern?

 „Mit diesem Projekt verbessern wir unser Image und bekommen eine zusätzliche Planstelle für die nächsten zwei Jahre“

                                                                                              oder

„Ohne dieses Projekt werden wir unseren Ruf als leistungsstarkes Projektteam massiv gefährden und in Zukunft unsere Sondermittel auf unabsehbar Zeit gestrichen bekommen.“

Wer sich oder andere wirkmächtig und nachhaltig verändern möchte, sollte auf das fokussieren, was er verliert, wenn er beim Alten bleibt.

Kommentare

Irgendwie leuchtet es schon ein, dass wir lieber etwas bewahren als etwas Neues zu erhalten. Aber gerade bei Kindern kann man doch sehen, wie motivierend eine in Aussicht gestellte Spielekonsole aus renitenten Egoisten zahme Sozialwesen macht. Allein der Wissenschaft zu vertrauen ist mir zuwenig. Lebenserfahrung zählt auch!

Sehr geehrter Herr Ebersbacher,

vielen Dank für Ihre Anmerkungen. Gegen Lebenserfahrung ist kaum was einzuwenden, wenn sie genügend reflektiert ist. Oft verbuchen wir jahrelang unser immer gleiches Verhalten unter Lebenserfahrung. Genau aber da ist eben auch der Bewahrungsdrang sichtbar: Es ist komfortabler bei etwas "Bewährtem" zu bleiben als sich auf Neues einzulassen.
Wohlgemerkt: Ich teile prinzipiell Ihre Ansicht. Plädiere aber für eine kritische Betrachtung gerade der sogenannten Erfahrung, die ja gelegentlich nur die Fortschreibung des ignorierten Irrtums ist.

Herzliche Grüße
Walter Braun

Das ist interessant, denn ich meine, dass die Welle des positiven Führens den Blick auf verhaltensauslösende Motive zu sehr eingrenzt auf zu erreichende Ziele und dabei vernachlässigt, dass wir zu vielem bereit sind, um den Status Quo zu erhalten. Nach unserem Gespräch auf der Tagung habe ich mich übrigens um meine "Human Factors" beim Planen und Entscheiden gekümmert - ernüchternd, wie wenig bewusst die Neigung, beim Alten zu bleiben, ausgeprägt ist. Jetzt ist mir klar, dass das auch eine Art Verlustvermeidung ist.

Viel mehr als alles andere pusht die innere Überzeugung. Wer zur Motivation seiner Mitarbeiter betragen will, sollte weniger psychologisch argumentieren und mehr darauf achten, dass sein Mitarbeiter aus Spaß an der Sache dabei ist. Wer Lust und Laune hat, geht bekanntlich dem Teufel vor die Tür. Oft genügen interessante Aufgaben, selbständiges Arbeiten oder ein gutes Arbeitsklima, um sich voll einzubringen. Gut, sei es auch um Privilegien nicht zu verlieren. Zum Nachdenken hat mich der Artikel aber jedenfalls gebracht!

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Hängt die Vorliebe für bestimmte Reaktionsmuster nicht auch von der Persönlickeitsstruktur ab? Wenn ich vom Typ her neugierig und abenteuerlustig bin, wird mir wohl mehr am Erlebnissgewinn liegen als am Bewahren des Status Quo.

Ja, sehr geehrter Herr Vogel, Einstellungen beeinflussen die Wahrnehmung von Situationen und den individuellen Denk- und Handlungsstil. So werden die von Ihnen genannten "Typen" mit höherer Wahrscheinlichkeit proaktiv Herausforderungen suchen als die andere Gruppe von Menschen. Aber: Auch für die proaktiv handelnden Menschen gilt die Logik der Savanne, wonach Neues potenziell gefährlich ist und daher eher vorsichtig gehandhabt werden soll, um das Überleben zu sichern. Während man viele biologische und pschologische Gründe hat, das Alte als Garant fürs Überleben zu erhalten bzw. zu verteidigen. So gesehen verändern sich mit den persönlichen Eigenschaften die Anzahl der Fälle risikoaffinen Verhaltens und damit auch die Bereitschaft, Neues zu wagen. Z.B. sollten Teams, Projekte, Gruppenarbeiten etc daher auch nach Persönlichkeitsmerkmalen zusammen gestellt werden und nicht allein nach fachlichen Anforderungen. Ein innovationsgetriebenes Unternehmen sollte der Mitarbeiterauswahl auch Persönlichkeitskriterien wie etwa "Unbestimmtheitstoleranz", Leistungsmotivation, Kreativität etc. zugrunde legen.

Ihr Walter Braun

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