Mit den Geschäftsmodellen ändert sich auch Führung!

System Management

Von Walter Braun

 

„Gefragt sind Selbstständigkeit und Eigenverantwortung“ antwortete der Chef-Personaler eines weltweit positionierten Automobilzulieferers auf die Frage, welche Merkmale Mitarbeiter künftig charakterisieren müssten. Nicht ganz neu, denn dies waren schon immer erwünschte Eigenschaften von Leistungsträgern. Nur: Heute wird deutlich warum. Produktplanung und –fertigung sind immer kürzeren Zeittakten unterworfen. Wenn Apple seinen Zulieferern Fristen von ein bis zwei Monaten setzt, ist das schon großzügig. Ähnlich kurz sind die Zeiten im Managen von Innovationen. Wenn man bedenkt, welchem Neuland Autobauer und ihre Zulieferer seit einigen Monaten zur Etablierung alternativer Antriebe ausgesetzt sind, erhält man ein Gespür für die künftigen Erfolgsparameter. Gleichzeitig bedrohen Branchenfremde und Wettbewerber die alten Geschäftsmodelle. Und von innen drängen ambitionierte Fachkräfte nach mehr Verantwortung.

 

Command mit Collaboration ersetzen

 

Änderungsbereitschaft und Experimentierfreude sind nun die neuen Leuchttürme, an denen Unternehmen ihre Positionierungsstrategien ausrichten. Solche Personeneigenschaften  vertragen sich aber nicht belastungsfrei mit den Old Economy-Strukturen.  Control- und Command-Kulturen unterdrücken  eher, als dass sie Menschen von Systemen emanzipieren. Hierarchien, Zuständigkeiten, Budgetmentalität, Prozessfixierung, Kosteneffizienz etc. müssen aber ergebnisoffenen Prozessen, kollaborativen Arbeitsformen, flexiblen Führungsstrukturen, temporären Arbeitsplätzen und der Notwendigkeit der Selbstführung von Mitarbeitern und Führungskräften weichen. Übergangsprobleme sind da unausweichlich.

 

Firmen können es sich kaum mehr leisten, ihre Produktionseffizienz und Leistungsprozesse noch weiter zu optimieren und auf die Verknüpfung von dynamischen Leistungsstrukturen und Partizipationsstrukturen zu verzichten. Auf Zeit zusammengesetzte Expertenteams, die sich in flachen Hierarchien selbst organisieren und untereinander kommunizieren, werden zur strukturellen Normalität. Führen im Sinne von Ergebnissicherung wird ersetzt von Empowermentansätzen, die den Mitarbeiter ermöglichen, ihre Potenziale und ihr Engagement  zu entfalten. Ohne eine klare Vorstellung über das neue und für den Betrieb je spezifische Führungsverständnis wird das den Unternehmen nicht gelingen.

 

Und auch Führungskräfte selbst können kaum mehr auf formale Macht setzen und aus dem Verständnis eines disziplinierenden Vorgesetzten heraus agieren, wenn sie die Leistungsprozesse des Unternehmens mit den Dienstleistungsprozessen des Führens miteinander verzahnen sollen.

 

Innere Transparenz erlangen

 

Erst aus ihrer inneren Bereitschaft zur offenen Diskussion mit Mitarbeitern und zur Unsicherheit ihrer Entscheidung vermögen sie Dialog und Unterstützung anzubieten, die allen Beteiligten helfen, mit der Dynamik und Komplexität der Situation fertigzuwerden. Zur Etablierung ihres Führungsverständnisses müssen sie sich daher im Klaren sein,

  • wie sie selbst mit Unsicherheit klarkommen,
  • welche Verhaltensweisen und Grundeinstellungen für sie wichtig sind,
  • wie sie mit widersprüchlichen Situationen umgehen und
  • wie sie ihre Stärken, Schwächen und Potenziale erkennen und jeweils in speziellen Situationen nutzen können – auch Schwächen können so zu Stärken werden.

 

In einem Umfeld, in dem sich ständig fast alles ändert, können ihnen ihre Antworten helfen, resilient und authentisch mit den gewandelten Bedingungen umzugehen. Auch  Netzwerken und Zusammenarbeiten fallen erfahrungsgemäß leichter, wenn die handelnden Personen mit sich im Reinen sind und keine Schaufensterpolitik oder Selbstinszenierungen aufführen.

 

Vom Vorgeben zum Experimentieren

 

Der Trend zu komplexen Arbeitsituationen nimmt stetig zu und zwingt Führungskräfte zu anderen Verhaltensmustern, zu Mustern nämlich, denen direktives Verhalten fremd und dialogisches  sowie integrierendes zu eigen sind. Aus Anordnen und Kontrollieren werden Zusammenführen von Know-how und Einfädeln von Kontakten. Hatte eine Führungskraft vormals eher die Ergebnisverantwortung in seinem Stammbuch stehen, gestaltet er jetzt das notwendig Umfeld dafür. Verantwortete er eben noch die Verfügbarkeit von Ressourcen, sorgt er jetzt für das selbstbestimmte Freisetzen der Mitarbeiterpotenziale und –kompetenzen. Und hatte er gerade noch mit Vorgabe zu tun, ermutigt er jetzt zum Experimentieren.

 

Ungewissheit tolerieren und der Kontrollillusion vorbeugen

 

Führungskräfte müssen damit leben können, dass sie in mehrdeutigen und komplexen Situationen immer weniger wissen werden, ob ihre Strategien und Maßnahmen greifen und was genau sie bewirken werden. Ob etwa die Umstellung auf Gruppenarbeit Qualität und Motivation verursacht, hängt nicht nur von einem vernünftigen Umsetzungsplan ab, sondern auch von viel Zufall und nicht bedachten Neben- oder Fernwirkungen von den Einzelmaßnahmen. Ob sie nun wollen oder nicht: Multioptionale Unsicherheiten gehören zu ihren ständigen Begleitern.

 

Entscheidungen vom Ende her betrachten – nicht nur exekutieren

 

Auch wenn das so ist, müssen sie dennoch die großen Linien im Blick haben und ihre Entscheidungen vom Ende her denken. Nicht zu unterschätzen ist dabei, dass zunehmende Unsicherheit zu einem zunehmenden Drang nach Bewährtem führt. Das hieße jedoch: Wo Kreativität und Musterbruch gefragt wären, bleibt man doch lieber beim Mehr vom Gleichen. Das fördert zwar die Kontrollillusion, verhindert aber leider auch Innovation.

 

Wer weiß, wie unpopulär Entscheidungen sind, wenn sie gegen Gewohnheiten gerichtet sind, ahnt die aufkeimenden Widerstände bei sich selbst und den Betroffenen. Da helfen auch keine Appelle oder „take it or leave it“–Parolen. Ein Chef muss dann dafür sorgen, dass  Mitarbeiter nachvollziehen können, warum er so entschieden hat,  ihren Beitrag zum Ziel dazu kennen und in ihrem Bemühen unterstützt werden. So gelang nach mehreren Versuchen die Etablierung einer weitestgehend standardisierten IT erst, als der neue Chef die Konsequenzen der Standardisierung für die unterschiedlichen Geschäftslogiken der Unternehmensbereiche durchspielen und Alternativen erörtern ließ – unter Beteiligung von Leistungsträgern.

 

Computational denken und handeln

 

Zu den genannten Veränderungen hinzu kommt noch die Tatsache, dass kein Arbeitsplatz und keine Strategie mehr ohne IT auskommen bzw. nicht durchdrungen sind von digitalen Anforderungen. Dafür brauchen die Menschen Kompetenzen. Kompetenzen, die allerdings mangels Angebot kaum aus den gesellschaftlichen und betrieblichen Bildungsunits entstehen. Menschen müssen es in die eigene Hand nehmen und „computational“ werden, um eine digitale Transformationen gestalten oder mindestens verstehen zu können. Die Delegation der digitalen Herausforderung an einen  CIO/CTO genügt nicht. Ja, sie unterdrückt eher den Emanzipationszuwachs der Mitarbeiter als dass sie ihn fördert. So wie die Grundkenntnisse in den Kulturwerkzeugen zur aktiven Teilhabe an der Gesellschaft erforderlich sind, sind Basics in den Informationstechniken die Voraussetzung für eine gelingende Unternehmenstransformation. Wenn die Bildungskataloge da noch mager sind, müssen die Fach- und Führungskräfte ihre Personalentwickler drängen, sie aufzufüllen, und selbst äußerst lernbereit und –fähig sein, um sich proaktiv auf diesem Terrain fit zu machen.

 

Neue Geschäftsmodelle sind ohne digitale Innovationen kaum mehr denkbar. Sie rufen nach Eliten, die

+ soziale Skills mit technischen und

+ ressourcenorientiert Selbststeuerung mit vernetztem Handeln

verknüpfen können. Wer darauf nicht vorbereitet ist, bringt die Transformation von Kultur und Struktur ins Stocken. Die gut Botschaft dabei: Wer stockt, merkt seinen Bedarf. Ob dann aus dem Bedarf ein Bedürfnis wird, macht er mit sich und seinen Leuten aus.

Kommentare

Eine sehr gute Anregung. Danke! Hinzufügen möchte ich, dass insbesondere bei neuen Geschäftsmodellen die HR-Abteilung eine wichtige Rolle spielt. Sie muss das soziale Miteinander sicherstellen und für die neuen Rollenanforderungen alle Mitarbeiter qualifizieren. Ohne HR haben neue Geschäftsmodelle keine Zukunft!

Heldengeschichten sind zwar beliebt, aber wirklichkeitsfremd. Wer sich im Sturm des Wettbewerbs mit neuen Anforderungen konfrontiert sieht, braucht nicht so sehr die "operativen Helden" (hab ich mal bei Ihnen gelesen) sondern kluge Köpfe, die nicht nach Sondermeilen schreien, sondern erst denken und dann handeln.

Ihrer Darlegung einer an Geschäftsmodelle anzupassenden Führung stimme ich voll und ganz zu. "Computational" möchte ich aber nur akzeptieren, wenn Sie das im übertragenen Sinne als Denken in algorithmischen Kategorien meinen. Einfach nur rechnerische Fähigkeiten damit zu meinen, würde es wohl auch gar nicht treffen. Oder?

Vielen Dank für Ihren Kommentar und Ihre Frage. Mit computational meine ich exakt das, was Sie akzeptieren. Es geht insbesondere um die Fähigkeit, sein Denken und Handeln an Mustern und Algorhitmen im übertragenen Sinne auszurichten, weil damit eine ganzheitliche Sichtweise wahrscheinlicher wird und partielle "Wenn-Dann-Mentalitäten" aufgelöst werden können. Es geht also nicht um rechnerisches Formeldenken, sondern um heuristische Fähigkeiten, trotz Unwissens Lösungsoptionen zu erkennen. Einverstanden?

Viele Grüße aus Heiligenhaus

Walter Braun

Uneingeschränkt teile ich Ihre Bemerkungen zu neuen Geschäftsmodellen. Eine wesentliche fehlt aber m. E.: die Notwendigkeit, dass HR das alles auf den Weg bringt. Veränderungen des Verhaltens finden nur auf veränderten Einstellungen statt. Das müssen die betroffenen Fachkräfte zwar selbst verantworten, brauchen dafür aber nachvollziehbare Konzepte und aktive Unterstützung durch Coaching etc. Da muss HR liefern, damit die neuen Geschäftsmodelle erfolgreich sein können.

Bleibt die Frage: Wo sind die klugen Köpfe für die Transformation? Bevor die nicht beantwortet ist, sollte man die Finger von neuen Geschäftsmodellen lassen. Leider ist es oft umgekehrt: man disruptiert und stellt verblüfft fest, dass es nicht funktioniert, weil die Leute in die innere Kündigung abtauchen und sie bei nächster Gelegenheit vollziehen.

Wir betreten in Zeiten des raschen Wandels öfter Neuland und merken, dass es nicht mehr reicht, nur seinen Job gut zu machen. Bei uns werden daher auch bei innovativen Projekten keine Sanktionen, sondern Lernzirkel eingeleitet, wenn Zeiten und Budget überschritten wurden oder das Ergebnis den Erwartungen nicht entsprach.

Da technologische Entwicklung rasant voranschreiten, Märkte sich schneller als früher wandeln und Produktionszyklen immer kürzer werden, sind wir mit einer Dynamik konfrontiert, der wir unabhängig von welchen Geschäftsmodellen auch immer wir nur mit einem veränderten Arbeitsverständnis Herr werden können. Mitarbeiter müssen Verantwortung übernehmen und Führungskräfte selbige abgeben. Führung wird im klassischen Sinne überflüssig und auf eine vermittelnde bzw. kommunikative Rolle beschränkt. Sie soll gewährleisten, dass die logistischen Anforderungen der Arbeitsorganisation erfüllt und die kreativen Ressourcen der Mitarbeiter freigesetzt werden.

Spätestens, wenn Innovationen und Problemlösungsprozesse über Internetplattformen initiiert werden, sind Führung und Personalmangement im traditionellen Verständnis obsolet und müssen neue erfunden werden. Etwa als Mittler zwischen OE und PE oder als Wissensmanager und Crowd Worker-Konzeptionist.

Oldeconomy bedeutet, Führung als vorgebende und steuernde Funktion auszulegen. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Selbst zur Konkretisierung von Zielen ist sie nicht erforderlich, da die Mitarbeiter kompetent und willens die Marschroute bestimmen. Was es braucht, ist eine Arbeitskultur und ein Arbeitssystem, die den einzelnen Menschen und Gruppen Verantwortung für das Ergebnis und den Weg übertragen. Vielleicht helfen die formulierten Anforderungen, dafür ein neues Verständnis zu erzeugen.

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